- Kapitel 22 -

Macht

   „Ich glaube, du verheimlichst uns etwas.“, er erstarrte mit der Hand auf der Türschnalle. „Es geht mich zwar nichts an, aber ich denke, du verheimlichst etwas.“

   „Wovon sprichst du?“, er versuchte möglichst ahnungslos zu klingen, drehte sich aber nicht zu ihr um.

   „Du bist ziemlich oft nicht da, wenn wir dich brauchen. Auch Kafei ist das aufgefallen. Er hat nur nichts weiter dazu gesagt. Wenn du es ihm nicht sagen willst, ist das deine Sache. Aber wenn du es jemandem sagen willst, ich bin auch noch da. Er ist bereits in der Stadt. Auch sonst sind wir alleine. Es wird also niemand hören.“

   „Kannst du es auch sonst für dich behalten?“

   „Du weißt, dass ich es kann.“, Link atmete tief durch, ging zum Bett zurück und krabbelte wieder unter die Decke neben Anju, den Kopf auf den rechten Arm legend.

   „Ich werde in den Techniken der Suro unterrichtet.“, er wartete auf eine Reaktion aber Anju hatte beschlossen, nur zu zu hören. „Ich will nicht, dass Kafei es erfährt, weil er eine sehr gespaltene Meinung ihnen gegenüber hat. Sirileij ist meine Lehrmeisterin. Sie bringt mir bei, was Kafei ihr beigebracht hat. Oder zumindest sagt sie es. Ich weiß ja nicht, wie das Training normalerweise aussieht. Aber ich kann inzwischen einige Dinge, die Kafei noch nicht wissen muss. Und ich spreche nicht davon, wie sich Toru vor mir fast in die Hosen gemacht hat, als er seine Schulden nicht bezahlen wollte.“

   „Das waren rein deine Fertigkeiten als Bogenschütze, ich weiß.“, sagte Anju ausdruckslos. „Dennoch kann ich nicht oft genug erwähnen, wie dumm es von dir war, es am Markttag zu tun, zwischen den Ständen, in Anwesenheit von Dutzenden, inklusive Gästen des Gasthofes. Du hättest jemand anders treffen können. Besonders mit diesem angebliche gut gezielten Querschläger.“

   „Es war Absicht. Ich hatte nichts anderes vor, als sein Hemd an diesen Pfosten zu nageln und das war die einzige Möglichkeit, seinen Kragen von der anderen Seite zu treffen. Ich kenne meinen Bogen und meine Pfeile sehr gut, danke. Auch war an dem Tag kein Wind.“, knurrte Link. „Du solltest ganz gut selbst wissen, dass er andernfalls nicht auch nur einen Rubin zurückgezahlt hätte. Und du weißt, dass es auch nötig war, um einige Dinge klar zu stellen, nicht nur zwischen ihm und mir.“

   „Durchaus. Es hat Dinge klar gestellt. Nämlich, dass du nicht minder das Potential zum Wahnsinn hast, als wenn deine Augen rot wären. Vielleicht hättest du einen - echten - Meister in Betracht ziehen sollen. Sie hätten womöglich zugestimmt.“

   „Vermutlich. Aber sie hat darauf bestanden. Nun, da wir wieder beim ursprünglichen Thema sind; auch will ich es ihm selbst sagen, wenn ich es für richtig halte. Was hältst du davon?“

   „Wenn du diese Ausbildung machen willst, mach sie weiter. Wenn nicht, hör auf.“

   „Tz. Ich will nicht als Feigling dastehen, weil ich aufgebe.“

   „Das ist eine lächerliche Einstellung. Aufhören heißt nicht aufgeben und wir beide wissen, dass du weit entfernt davon bist, ein Feigling zu sein, ungeachtet von dem, was dir Farore vorschreibt. Du brauchst Sirileij nur zu sagen, dass du findest, du hast genug gelernt. Sie wird es verstehen. Wenn sie Kafei’s Unterricht verstanden hat, wird sie auch das verstehen.“

   „Gut. Aber ich will ohnehin weitermachen.“

   „Dann mach weiter.“

   „Verdammt. Du redest schon wie alle anderen von Weisheit gesegneten.“, Anju musste lachen.

   „Kann sein. Aber ich hab inzwischen auch einiges gelernt. Wenn man so viele Jahre mit einem Shiekah zusammen ist, lernt man durchaus.“

   „Das glaub ich dir aufs Wort.“, schmunzelte Link.

   „Weißt du, mir fällt auf, wir haben uns noch gar nie richtig unterhalten. Nur wir beide.“

   „Stimmt.“, bemerkte er ebenfalls. „Und worüber willst du dich unterhalten?“

   „Keine Ahnung.“, seufzte Anju und kuschelte sich an ihn, ihre Stirn an seine gedrückt. „Stört’s dich?“

   „Äh – nein.“, überlegte er. „Seltsam, aber nein.“, nachdenklich legte er seinen linken Arm um ihren Rücken.

   „Deine Nase ist warm.“, hauchte sie.

   „Kann sein.“, er schloss die Augen, da er noch immer müde war.

   „Kafei’s Nase ist meistens kalt.“

   „Ich weiß.“

   „Natürlich. Wie ist sie so?“

   „Wer?“

   „Sirileij?“

   „Verrückt. Irgendwie. Aber doch ganz in Ordnung. Sie lässt nicht locker, bis ich etwas mit vollster Überzeugung kann. Das nervt, ist anstrengend, aber genau betrachtet auch wieder gut. Wenn sie nachlässiger wäre, wären wir höchstwahrscheinlich nicht weit gekommen. Ich bin einfach viel zu ungeduldig.“

   „Tatsächlich?“, kicherte Anju.

   „Ja. Hör auf zu lachen. Ich weiß, ich hab lange gebraucht, um es zuzugeben.“

   „Sie hält dich also ziemlich auf Trab.“

   „Das tut sie. Du hast bei Kafei nicht gemerkt, dass er die Ausbildung gemacht hat?“

   „Hm. Ehrlich gesagt, hab ich etwas gespürt, aber es war für mich nicht überraschend, dass er mehrmals verschwunden war. Er ist schon als Kind immer wieder für ein paar Tage unauffindbar gewesen. Sein längstes Verschwinden war eigentlich, als ihn Majora verflucht hat. Sonst ist er immer nur ein paar Tage weg gewesen. Es hat aufgehört als Ikana gefallen ist und als wieder Leben in das Land gekommen ist, hat es wieder angefangen. Es war also nichts Beunruhigendes. Ikana ist immerhin seine Heimat. Ich war nie wirklich überrascht, dass er die Ausbildung gemacht hat. Ich war nur überrascht, dass sie ihn nicht gleich am ersten Tag aus dem Canyon getreten haben. Ich bin jetzt Königin. Die Meister sprechen auch mit mir. Ich weiß ja nicht wie viel davon wahr ist, aber er hat sich angeblich sehr vehement gegen ihre Methoden gesträubt.“

   „Das hat mir Sirileij bestätigt.“

   „Er ist ein Revolutionär. Er will die Welt verbessern. Das hat er auch schon als Kind versucht. Ständig hat er sich für Schwächere eingesetzt. Mädchen sind bei den Bombern zwar nach wie vor nicht erlaubt, aber er hat die sie damals ganz schön aufgemischt. Hat den Anführer ein paar Male sehr schlimm verhauen, als er sich aus reiner Faulheit geweigert hat, anderen zu helfen. Das hat ihn zwar nicht unter den Eltern beliebt gemacht, aber die anderen Bomber sind mit der Zeit aufgewacht und haben tatsächlich wieder zum Grundkonzept zurückgefunden. Zumindest ein paar Jahre lang. Sie wollten ihn zum Boss machen, aber er hat nicht eingewilligt. Stattdessen hat er die Bande verlassen. Kurz darauf ist seine Mutter gestorben. Er wollte nie Bürgermeister sein. Er wollte nie König sein. Warum denkst du, ist er beides, wenn ein Amt für ihn keine Voraussetzung ist, um Verantwortung zu übernehmen? Ich hab ihn nie darauf angesprochen, aber ich vermute, er hat seitdem Angst davor, ihm angebotene, hohe Stellungen abzulehnen. Er hat Angst davor, jemanden zu verlieren, wenn er ablehnt.“

   „Das ist – eine interessante Sichtweise.“, ob der Nähe ihrer Augen, schielte er etwas, was auch sie tat.

   „Und du hast interessante Augen.“

   „Du bist eben ziemlich nah. Da schielt man halt.“

   „Das mein ich nicht.“, lächelte sie. „Sie sehen fast aus wie Kafei’s Augen. Nur die Farbe ist eine andere. Ob das was mit eurer Bestimmung zu tun hat?“

   „Ich denke nicht. Zelda’s Augen sind ganz anders. Wenn ich ehrlich bin, ähneln meine eher deinen.“

   „Oh. Wie war das eigentlich für dich?“

   „Was?“

   „Sie zu küssen?“

   „Seltsam, dann hat es sich gut angefühlt – und dann hab ich gewusst, dass es einfach nur falsch war, es zuzulassen. Ich meine, ja – ich mag sie irgendwie. Aber selbst wenn ich nicht schwul wäre, würde ich nie eine Beziehung mit ihr anfangen. Sie ist einfach ganz und gar nicht mein Typ. Ihre unnötige Eifersucht nervt obendrein.“

   „Da kann ich dir nur zustimmen.“, schmunzelte Anju. „Nie wieder würde ich mir mit ihr ein Zimmer teilen. Ich beneide Vaati. Ausgerechnet sie. Ich frage mich, wohin das noch führen wird. Hoffentlich kann er dich aus ihrem Kopf streichen.“

   „Das hoffe ich auch.“

   „Was ist eigentlich aus diesem Shiek-Imitat geworden?“

   „So lange er nicht wieder auftaucht, werde ich die Sache ignorieren. Vielleicht war ich wirklich nur müde. Es ist ziemlich kalt heute, oder?“

   „Ja. Der Winter kommt endlich. Wurde auch Zeit. Er ist ein Monat zu spät. Ich schätze und hoffe auch, dass es in ein paar Tagen schneien wird.“

   „Auch hier?“, Link war etwas verwundert.

   „Was meinst du?“

   „Wirkt seltsam. Der Gedanke, dass es in Ikana schneien könnte. Ich meine, du weißt doch, wie warm der Sommer hier war.“

   „Ach so. Du hast ja noch keinen Winter in Termina erlebt. Ja, es schneit auch in Ikana. Nur nicht in den nördlichen Teilen des Hinterlandes. Die Winde der Wüste sind zu warm.“

   „Wirklich? Am Hyliasee schneit es auch und der grenzt unmittelbar an die Wüste. Zwar sind hohe Felsen dazwischen, aber es schneit dort.“

   „Zuerst überrascht dich Schnee in Ikana und dann wundert es dich, dass es in gewissen Teilen doch nicht schneit?“

   „Äh – oh. Tut mir leid. Ich schlaf noch ein bisschen.“

   „Macht nichts. Aber dein Phänomen lässt sich vielleicht erklären. Ich denke, dort muss eine starke Grenze zweier Luftströmungen sein. Die Schneegrenze in Ikana ist an manchen Stellen auch sehr klar. Es gibt ein Dorf, dessen eine Hälfte noch nie von einer Schneeflocke berührt worden ist und die andere schon bis zu eineinhalb Ellen bekommen kann.“

   „Ehrlich?“

   „Seltsam, oder?“

   „Und ob. Die Natur ist wirklich sonderbar.“

   „Das ist sie.“, hauchte Anju und strich ihm über die linke Wange. „Kafei ist das beste Beispiel dafür.“

   „Aber er ist auf eine gute Weise seltsam. Die Natur auch. Und du. Wie kannst du mich nur so akzeptieren?“

   „Du akzeptierst mich doch auch, oder?“, sagte sie sanft. „Ich liebe Kafei und dich hab ich auch sehr gern. Warum sollte ich also die eifersüchtige Ehefrau spielen?“, sie platzierte einen Huch von Kuss neben seine Lippen. „Ich habe nicht den geringsten Grund dafür.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Etwas misstrauisch sah Link den Mann neben der Tür des Rathauses an. Er war erst jetzt mit dem Frühstück im Gasthof fertig geworden. Anju war schon zu Kafei vorgegangen, der bereits seit halb sechs im Büro saß. Offenbar hatte sie wieder zugesperrt, da das Rathaus noch nicht offiziell geöffnet war. Die Diskretion des in einen wärmenden Umhang gehüllten, offensichtlichen Suro, überraschte Link. Als er sich ihm näherte, machte der Mann eine kleine Verbeugung.

 

   „Einen guten Morgen wünsche ich.“

   „Ebenfalls, danke.“

   „Man sagte mir im Schloss, dass sich der König in die Stadt begeben hat.“

   „Ja. Das hat mir Anju auch gesagt. Er hat heute einiges an Papierkram zu erledigen. Es gibt ein paar Ungereimtheiten an der Küste. Irgendjemand hat angeblich unwissentlich im Gebiet der Piratinnen geankert und am Boot einen Laden betrieben, in dem er illegal irgendwelche Schätze verkauft hat, die sie natürlich haben wollten. Jetzt muss geklärt werden, wie illegal sein Handel war, denn dann wären nämlich beide Parteien dran. Wenn seine Geschäfte legal waren, müsste er nur etwas davon als Kaution den Piratinnen überlassen. Und – “

   „Das – interessiert mich nicht, um ehrlich zu sein.“, sagte der Suro abfällig. „Jemand will das Hinterland durchqueren.“

   „Dann sollen sie doch.“, gluckste Link und sperrte auf. „Oder stehen sie auf irgendeiner Liste, von der ich nichts weiß?“

   „Er will lediglich eine Audienz beim König.“

   „Oh. Sag das gleich.“

   „Hättet Ihr nicht von den Piratinnen angefangen, hätte ich schneller zum Punkt kommen können.“, der Suro folgte ihm hinein.

   „Tut mir leid.“, grinste Link verlegen. „Ich bin noch etwas durcheinander.“

 

   Während Link schon auf die Tür zusteuerte, blieb der Shiekah respektvoll in der Mitte des Empfangsraumes stehen. Link klopfte kurz, öffnete beschwingt die Tür – erstarrte und knallte sie gleich wieder zu. Die Augen kurz zukneifend, lehnte er sich an die Tür.

 

   „Link?“, fragte Kafei laut, aber durch die Tür gedämpft. „Warst du das gerade?“

   „Ja. Du sperrst doch sonst immer ab.“, nun war er doch leicht verärgert.

   „Tut mir leid. Wir hatten es eilig.“

   „Dann habt es bitte auch eilig mit dem Anziehen.“

   „Wir sind schon fertig.“

   „Kann ich also?“, Link drückte die Klinke demonstrierend herunter.

   „Ja.“, er öffnete die Tür erneut.

   „Zumindest weiß ich jetzt ungefähr, wie das aussieht, wenn wir auf diesem Schreibtisch – “, seufzte Link. „Egal. Da will dich jemand sprechen, Kafei. Irgendjemand steht an einem Grenzposten und will eine Audienz bei dir.“

   „Oh.“, hauchte Kafei, gab Anju noch einen Kuss und marschierte an Link vorbei ins Foyer, wo er den Suro kurz begrüßte und ein paar Worte auf Shiekjiarnjinjú mit ihm austauschte, woraufhin die beiden sich fortteleportierten.

   „Link?“, hauchte Anju kaum hörbar, mehr schlecht als recht angezogen vor dem Schreibtisch stehend und er drehte sich wieder zu ihr um.

   „Wie weit ist er mit diesem Verkäufer schon gekommen? Hat er wirklich was verbrochen?“

   „Es sieht weder für ihn, noch für die Piratinnen gut aus. Sie bekommen eine kleine Summe als Dank dafür, dass sie ihn aufgegriffen haben. Aber sie hätten ihn und vor allem die Waren ausliefern müssen. Er behauptet zwar, die Dinge nicht selbst gestohlen zu haben, aber da er keine weiteren Beteiligten nennen will, sieht es sehr schlecht für ihn aus. Wenn er nicht auspackt, bekommt er die Todesstrafe.“

   „Tod- Todesstrafe?“, stockte Link.

   „In Ikana steht für Hochverrat noch immer die Todesstrafe.“

   „Hochverrat?“

   „Er ist ein Shiekah. Auch wenn er angeblich von der anderen Seite des Ozeans stammt, ist er gleich zu behandeln, als wenn er direkt aus Ikana wäre. Die Gegenstände waren Grabbeigaben aus den Königsgräbern als auch Ritualgefäße der Hohepriester, die vor Jahrzehnten verschwunden sind.“

  Todesstrafe?

   „Ich verstehe auch nicht, warum Kafei sie noch nicht abgeschafft hat. Aber gewisse Dinge sind auch ihm aus Prinzip heilig.“

   „Wofür verhängt er die Todesstrafe noch, außer für sogenannten Hochverrat?“

   „Vorsätzlichen Mord. Bei Kindesmissbrauch und Vergewaltigung kommt es auf die Umstände an, ob auch Folter angewandt wird, beziehungsweise welche Todesart im Falle – sagen wir, es gibt verschiedene Arten der Todesstrafe. Je nach Umständen eben.“

   „Und die wären?“

   „Galgen, Ertränken, Fallbeil, Scheiterhaufen oder Gift. Aber die häufigste Art ist noch immer der Galgen.“, sagte sie, als würde sie Zutaten für einen Kuchen aufzählen.

   „Und – Folter?“

   „Es gibt vieles was ich nicht wissen will und das was ich darüber weiß, will ich dir ersparen. Ich habe die Folterkammer nie gesehen, aber sie liegt tief unter dem Schloss und der Eingang zur Treppe dorthin ist eine mehrfach gesicherte, dicke Tür. Ich weiß nur, dass die Leute, die unter Igos’ Herrschaft dort hinunter geschickt wurden, selten wieder zurückgekommen sind. Und wenn, dann zur Gänze verhüllt, auch gestützt kaum fähig zu gehen und eine Blutspur nach sich ziehend. Unter Kafei war es zwar erst ein paar Mal nötig, diese Tür wieder zu öffnen, aber zumindest hat er die Verbrecher nicht wie Igos am helllichten Tag wieder rausschleifen lassen, damit alle was davon hatten.“, Link brachte kein Wort heraus. „Ein etwas anderer Kafei, als du ihn kennst, nicht?“, fügte sie gequält lächelnd hinzu.

   „Pfuh. Ja.“, hauchte er nur geschockt.

   „Aber keine Sorge. Die Leute wissen diese Konsequenzen durchaus zu fürchten und halten sich deshalb auch ganz gut an Gesetz und Moral.“

   „Gelten diese Strafen auch in Termina?“

   „Nur für Unruhstadt und was in der Ebene passiert. Die anderen Regionen unterliegen großteils den jeweiligen Gesetzen.“, Link schluckte. „Du hast doch nichts getan, das dich in solch eine Lage bringen würde?“

   „Nein – ich – ich meine – es ist nur – die Vorstellung – dass – Kafei – so ein Urteil – “

   „Ja, er ist ein Befürworter des Lebens. Und wer aus purem Vergnügen oder irgendwie sonst nicht rechtfertigbar Leben nimmt, büßt.“

   „Wissen die Kinder davon?“

   „Von der Todesstrafe, ja. Wir haben sie so erzogen, dass sie es verstehen und verkraften. Aber von der Folter wissen sie nichts. Weder von damals, noch von heute. Für sie führt die Tür zum Kerker. Alles was sie in ihrem Alter wissen müssen ist, dass wenn ihnen oder jemand anderem jemand sehr weh tut, ihr Vater da ist, um diesen Mistkerl zu bestrafen. Und das – vorhin – im Schloss – “

   „Was, vorhin, im Schloss?“, schnaufte er abwertend.

   „Es tut mir leid, ja?“

   „Das hatten wir doch schon. Es ist nichts passiert.“

   „Link.“, jammerte sie.

   „Ich hab’s überlebt. Und es war zum Teil auch meine Schuld. Wenn sich also jemand schämen sollte, dann ich. Einigen wir uns endlich darauf? Es ist nichts passiert.“, sie starrte ihn kurz an und kräuselte die Lippen, nickte aber. „Gut.“

   „Er hat ohnehin nichts gemerkt.“

   „Und das wird er auch nicht, wenn wir ihm keinen Grund liefern. Wenn er Folter vertuschen kann, können wir das erst recht für uns behalten. Selbst wenn ihm auffällt, dass die Vase nicht mehr da ist oder er Scherbenreste findet, es ist keine große Sache. Also lass es uns vergessen, ja?“

   „In Ordnung.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Angst. Angst war eine mächtige Waffe. Ehrfurcht auch. Doch im Moment war es hauptsächlich Angst, die Kafei in den Augen der beiden Männer sah. Einer von ihnen hatte sogar ein Schwert auf den Rücken gebunden. Es war nur denkbar, dass sie Geschichten gehört hatten. Igos hatte seine Blutspur weit genug gezogen. Vollkommen gelassen saß er auf dem Thron, in einen alten, purpurnen Umhang von Igos gehüllt. Selbst diese unnütze Wucht hatte er auf dem Kopf. Ihm war einfach danach, ein wenig zu spielen. Um nicht unnötig aufzufallen, hatte er sogar seine alte, auswaschbare, schwarze Haarfarbe ausgegraben und sich seine blitzblaue Pracht als auch die gleichfarbigen Augenbrauen heimlich in der Zeit gefärbt, die die reisenden für die Durchquerung des Landes gebraucht hatten.

   So gelassen er war, so stolz war seine Haltung und so kalt sein Ausdruck, als er beobachtete, wie die beiden Männer, von zwei Suro flankiert, auf ihn zugingen. Die Suro stoppten im Respektabstand und brachten die Gäste zum Halt. Fast genüsslich betrachtete er deren zaghafte Verbeugungen, was einem von ihnen aufgrund seines Bauchumfangs sichtlich schwer fiel – zugegeben tat Kafei das Pferd leid, auf dem er gekommen war. Der andere stellte den dicken Leinensack, den er über die rechte Schulter geworfen hatte auf den Boden, bevor er sich verneigte.

   Ein kaum erkennbares Nicken ihres Königs reichte und die beiden Suro verbeugten sich ebenfalls, bevor sie sich in Luft auflösten, ganz zum Schrecken der anderen beiden. Ein Lächeln legte sich auf Kafei’s Lippen. Nur auf seine Lippen. Und es war keineswegs warm. Es war kalt und selbstzufrieden. So rasch es gekommen war, verschwand es auch wieder, mit dem Rollen des großen Steintores hinter den nun noch merklicher besorgten Männern, deren Blicke nichts als die Gewissheit, eingesperrt zu sein, widerspiegelten. Doch das hatte die große Halle so an sich. Trotz der Farbenfrohheit wirkten die Wandmalereien für Außenstehende keineswegs einladend und das gedämpfte Licht der bereits vorübergezogenen Wintersonne ließ eine gefühlte Kälte entstehen, die eigentlich dank des Systems aus Wand- und Fußbodenheizung nicht gegeben war.

 

   „Was verschafft mir die absonderliche – Ehre – eures Besuches?“, fragte Kafei, Unwissenheit vortäuschend.

   „Wir ersuchen um einen Handelsvertrag.“, sprach der dünnere Mann mit dem Schwert auf dem Rücken, in perfektem Hylianisch.

   „Mit Ikana?“, gluckste Kafei. „Ikana hat alles, was es benötigt.“

   „Mit Termina.“

   „Ich verstehe. Und da dachtet ihr, ihr marschiert einfach quer durch mein Reich und hofft, dass ich euch das ein weiteres Mal tun lasse?“, seine ohnehin schon durchdringenden roten Augen bohrten sich selbst über die immense Distanz hinweg in die des Sprechers.

   „Wir – wir wurden durchgelassen.“, dieser wurde panisch.

   „Und du denkst, das weiß ich nicht.“, äffte Kafei seine Panik nach, aber nur für diesen einen Satz. „Was bitteschön hat Ordon, das Termina braucht und das so wichtig ist, dass der Bürgermeister höchstpersönlich; der, wie ich erwähnen möchte, nicht einmal der allgemeinen Weltsprache mächtig ist; einfach mit seinem Leibwächter und Übersetzer am Rande des Winters auf meine Nase zuspaziert und denkt, ich mache ihm den Weg frei.“

   „Mit Verlaub, Übersetzer, ja. Aber ich bin nicht sein Leibwächter. Ich bin der Waffenschmied des Dorfes.“

   „Ach – nur der Waffenschmied!“, lachte Kafei spöttisch, den Kopf kurz in den Nacken werfend, nur um sie dann wieder mit der selben Kälte anzustarren. „So ist das also. Dann fühlt ihr euch demnach in meinem Land sicher? Mit deinem rostigen Schwert und schwerem Sack – und dem Gepäck? Auf euren – ihr nennt so etwas Pferde? Ehrlich. Ich würde euch zwei von unseren verkaufen, wenn euer gesamtes Dorf denn je in einem Jahrhundert die Rubine dafür auftreiben könnte, die auch nur eines Wert ist.“, Moe war mehr als perplex und wusste keine Antwort. „Was hat Ordon also zu bieten?“

   „Ktfln.“, gurgelte Moe.

   „Bitte noch einmal? Falls du denn dazu in der Lage bist,“

   „Kartoffeln.“, gewann Moe mit aufkochender Wut an Selbstvertrauen.

   „Hat Ikana auch.“, blieb Kafei gleichgültig.

   „Kürbisse.“

   „Auch diese wachsen in Ikana.“

   „Und den besten Ziegenkäse des Kontinents.“, knurrte Moe beinahe schon.

   „Tz. Glaubst du, das beeindruckt mich?“, demonstrativ inspizierte Kafei gelangweilt die Nägel seiner linken Finger.

   „Wir wären zudem bereit, mit Hyrule über einen gemeinsamen Vertrag zu verhandeln.“

   „Nun, die Prinzessin von Hyrule ist nicht hier. Oder siehst du sie irgendwo?“, Kafei sah sich kurz um. „Glaub mir. Prinzessin Zelda ist eine starke Frau, die man nicht unterschätzen darf. Wenn sie gewillt ist, einen Handelsvertrag mit Termina abzuschließen, meldet sie sich persönlich bei mir und fragt, ob sie ihre Leute durchschicken darf. Und bedenke. Wenn das geschieht, könnt ihr eure Dorfidylle dazu nutzen, eure fettigen Haare zu glätten. Dann, verläuft nämlich eine dicke, fette Handelsstraße hindurch, über die es nicht einmal ein Frosch zu springen wagen würde, weil manche Frösche sehr wohl klug genug sind, ihr Leben nicht unnötig aufs Spiel zu setzen.“

 

   Ab zweien der Wörter sah er ganz besonders Boro an, wenn er sich auch selbst dafür schämte. Schweigend ließ er Moe übersetzen, der ganz und gar nicht zufrieden mit der Antwort wirkte. Natürlich gab es bereits einen Handelsvertrag zwischen Hyrule und Ikana, und selbstverständlich auch mit Termina. Doch die Strecke führte aus genau jenem erwähnten Grund nicht durch Ordon. Kafei wusste, dass Link sehr viel an dem Dorf lag, in dem er immerhin ein Jahr lang gelebt hatte. Wenn diese Umsicht auch tagelange Umwege bedeutete. Von den leisen Kurieren, die Ordon dennoch benutzten, wusste keiner der Bewohner etwas. Sie waren eben zu leise.

   Auch fand Kafei gerade in ihren Köpfen, dass sie absolut keine Ahnung hatten, was in Termina seit dem Angriff passiert war. Warum auch? Er hatte die Grenze schließlich sofort dicht machen lassen und selbst als die Ordnung wieder hergestellt worden war, hatte er zu verhindern gewusst, dass auch nur ein Ordonier eine Ferse oder Zehe auf ikana’schen Boden gesetzt hatte. Die Nachricht von einem neuen König im Land hatte sie ohnehin zu sehr verschreckt. Sie mussten doch nicht erfahren, dass der Bürgermeister von Termina und der König von Ikana ein und die selbe Person waren.

 

   „Fertig beraten? Dürfte nun auch ich mitreden?“, raunte Kafei gehässig. „Nun denn, ich bin bereit, darüber nachzudenken, ob ich euch nach Unruhstadt weiterlasse.“

 

   Während Moe und Boro einige Blicke austauschten, sendete Kafei eine telepathische Botschaft an Anju, in der er sie über die Situation aufklärte. Er wartete noch einen Moment auf ihre Zustimmung und sprach weiter.

 

   „Habt ihr Proben eurer Produkte dabei?“

   „Falls es den Altbürgermeister Dotour noch gibt, wird er durchaus zustimmen. Denn zu seiner Zeit hat es eine Handelsbeziehung zwischen Ordon und Unruhstadt gegeben.“, wenn er auch nur annähernd wie Igos gewesen wäre, hätte er beiden eine magische Ohrfeige dafür verpasst, dass Rusl seine Frage ignoriert hatte, und das obwohl der von ihm mitgebrachte Sack sie eigentlich schon im Vorfeld recht offensichtlich erübrigt hatte.

   „Das ist mir durchaus bekannt. Doch er ist nicht mehr im Amt. Nun gilt es, seine Schwiegertochter zu überzeugen.“

   „Schwiegertochter?“

   „Ich hatte soeben ein nettes, telepathisches Gespräch mit Bürgermeisterin Anju. Ihr Mann ist zur Zeit nicht zugegen. Deshalb hat sie sich bereit erklärt, sich von mir hier her bringen zu lassen. Vorausgesetzt, ihr verschwendet nicht ihre Zeit.“

   „Das tun wir keineswegs. Wir haben exzellente Proben dabei.“

   „Gut, gut. Oder auch nicht. Je nachdem.“

 

   Mit einem Mal war Kafei in Anju’s Büro und wollte ihr schon die Hand geben. Doch dann sah er, dass sie ihr Diadem zurecht rückte.

 

   „Nimm das bloß ab! Ich hab dir doch gesagt, sie haben keine Ahnung! Ich will nicht, dass sie wissen, wofür ich noch zuständig bin. Und auch nicht, dass du meine Frau bist.“

   „Oh. Tut mir leid. Das – muss ich verschlafen haben.“

   „Alles in Ordnung? Du wirkst heute so neben dir.“

   „Ich bin nur – noch nicht munter.“, hauchte Anju, als Kafei ihr mit dem prunkvollen Kopfschmuck half, der ganz und gar nicht zu ihrer Kleidung passte. „Danke.“

   „Noch nicht. Die Sonne geht bald unter, also wohl eher schon oder noch immer?“

 

   Sie strich noch einmal ihre Haare zurecht, setzte einen professionellen Blick auf und die beiden standen binnen eines Sekundenbruchteils vor ihren Thronen. Den Menschen klappte der Mund auf, als sie das sahen.

 

   „Guten Nachmittag, die Herren.“, begann Anju, während Kafei sich wieder breitbeinig hinsetzte und schweigend beobachtete. „Ich bin Anju-Anila Maranóshu. Bürgermeisterin von Unruhstadt und Generalvertreterin von Termina.“, sie ging während sie sprach auf die beiden zu und schüttelte schließlich ihre Hände. „Ich habe gehört, es geht um einen Handelsvertrag mit Unruhstadt? Nun? Was kann ich für Sie tun?“

   „Genau gesagt geht es um die Wiederaufnahme der Verkaufsgenehmigung auf den Großmärkten in Unruhstadt.“, sagte Moe. „Herr Dotour hatte einst diese Genehmigung unterzeichnet und da weder Sie noch Ihr Gatte uns je darüber informiert haben, ob Sie mit dem Weiterlaufen der Genehmigung einverstanden sind, dachte Bürgermeister Boro, er fragt einfach einmal nach.“, er deutete auf seinen Freund, der leicht lächelte, obwohl er kein Wort verstand.

   „Nun, da Termina jetzt über einen ordentlichen Hafen verfügt und wir auch eine Handelsbeziehung mit Hyrule am Laufen haben – “

   „Was?“, platzte es aus Moe und Kafei grinste wieder einmal selbstgefällig.

   „Hast du ernsthaft geglaubt, Zelda würde ihr Grenzdorf plattwalzen? Ihr seid der einzige Schutz Hyrules, wenn Ikana angegriffen wird. Wenn die Schilder Ikanas nicht rechtzeitig aktiviert werden können, opfert sich jemand, um die Brücke zu zerstören. Hyrule kann nicht genug Streitkräfte aufbringen, um Ikana beizustehen. Umgekehrt schon. Und wie du siehst, es gibt noch einen anderen Weg. Zwar etwas gefährlich, aber Zelda hat die Kokiri auf ihrer Seite. Sie führen die Händler sicher durch die Verlorenen Wälder an den Rand der Sümpfe. Dort übernehmen praktischerweise die Deku – und der Weg in die Stadt ist nur noch ein Kinderspiel.

Existiert aber eine ungeschützte Handelsstraße zwischen unseren Ländern, gar nicht auszumalen, welche fatalen Folgen das in einer möglichen Zukunft haben könnte. Die alten Bäume unseres Kontinents wachsen auf heiligem Boden, den sie beschützen müssen und die Geschöpfe unter ihren Kronen unterstützen sie. Ohne deren Hilfe, überlebt nichts lange im alles schluckenden Grün. Der größte und perfekteste Schutzwall gegen böse Mächte. Auf der anderen Seite ist die Wüste. Und wer einen Marsch durch die Wüste überleben will, kann es nicht mit einem ganzen Heer tun. Außer man führt es am Rand entlang. Selbst dort erwartet einen ein tödlicher Hagel aus Pfeilen, Speeren und Wurfmessern. Die Präzision und Schnelligkeit der Gerudo-Nomadinnen kommt nah an die der Suro heran. Beide sind auf Seiten der Großreiche – wenn sie nicht gerissen genug sind, den Galgen aus eigenen Stücken zu umgehen.“

   „Ja.“, bestätigte Anju. „Aber was ich eigentlich sagen wollte, Unruhstadt ist nicht größer. Die Märkte sind stets voll besetzt. Jeder Stand oder gar Teppich mehr wäre gegen unsere Sicherheitsauflagen. Und diese sind genaustens durchkonzipiert. Es – es tut mir Leid. Ich hätte Ihnen gerne einen eigenen Fixplatz angeboten. Aber wir müssten die Stadtmauern einreißen, was hieße, wir würden Kaserne, Waffenkammer, Lager und Gefängnis opfern müssen. Natürlich können Sie versuchen, mit den Händlern Hyrules zu verhandeln, ob nicht die eine oder andere Ware, die in Termina nicht so läuft, gegen eines Ihrer Produkte getauscht wird. Vielleicht geht einer einen Kompromiss ein und teilt sich seinen Stand mit Ihnen. Es tut mir so leid. Mehr kann ich wirklich nicht für Sie tun. Natürlich können Sie die mitgebrachten Waren hier lassen. Ich kaufe sie Ihnen auch ab. Ich bin mir sicher, ich finde eine Verwendung dafür.“

   „Wir danken Ihnen wirklich für Ihre Bemühungen.“, seufzte Moe und übersetzte, während Anju einen Blick in den Sack warf und nickte.

   „Hm. Käse, Sauermilch, Fleisch, Rujenva, Alandri, Honig – gut. Ich gebe Ihnen einfach zweihundert Rubine für alles. Ist das genug?“

   „Mehr als genug, danke!“, lachte Moe verzückt. „Da schenken Sie uns sogar dreißig.“

   „Ach.“, tat Anju mit einem Handwedeln ab. „Das ist für den Aufwand. K-“, sie stoppte sich gerade noch selbst. „Ähm – König Elej?“, mit seinem dritten Vorname konnte sie weniger falsch machen, da er zudem sein zweitliebster war.

   „Ja?“, sie überlegte noch einmal, mit Blick auf ihn.

   „Würdet Ihr bitte so nett sein und die beiden Herren mit ihren Reittieren zurück an die Grenze bringen?“

   „Was habe ich denn damit zu tun?“, entgegnete er, gespielt unbeeindruckt und betrachtete abermals seine Fingernägel, wobei er diesmal sogar an ihnen herumpickte.

   „Bitte.“

 

   Er stand auf und schritt arrogant auf sie zu. Auch wenn sie wusste, dass sein Blick geheuchelt war, war sie doch erstaunt, wie überzeugend er einen gleichgültigen, egomanischen Mistkerl inszenieren konnte. Den Umhang mit der linken Hand an die rechte Schulter haltend, stemmte er die andere Hand in die Hüfte und blieb, beinahe lässig, neben ihr stehen.

 

   „Weswegen.“, es war eine langsam geraunte, angewiderte Feststellung.

   „Um die Enttäuschung gut zu machen.“

   „Was – “, er kippte den Kopf leicht nach rechts und streckte den rechten Arm nach ihren langen, blutroten Haaren aus, von denen er ein Büschel verspielt um die Finger wickelte, „Bekomme ich denn dafür?“

   „Die Wertschätzung dieser beiden Männer.“

   „Ach?“, er zog eine Augenbraue hoch, trat hinter sie und legte die Hände auf ihre Schultern. „Und du denkst, das ist den Aufwand wert?“, hauchte er ihr, wenn auch gut hörbar ins rechte Ohr. „Noch einmal. Was, bekomme ich dafür.“

   „Wertschätzung.“, sagte sie mit einem Schmunzeln. „Wessen, ist doch egal.“

   „Du denkst vielleicht, es wäre mir egal.“, er strich ihr die Haare hinters rechte Ohr und fuhr in Shiekjiarnjinjú fort, wenn er auch nichts an seinem schleimigen Ton änderte. „Du denkst vielleicht, es wäre mir egal, dass mich die Leute in Ordon für ein lüsternes Schwein halten. Das ist es nicht. Aber spätestens wenn sie draufkommen, dass der Bürgermeister von Termina und der König von Ikana ein und die selbe Person sind, wird ihnen klar werden, dass der König nur auf eine äußerst unverschämte Art mit seiner eigenen Frau geflirtet hat.“, sie musste einfach kichern.

   „Ja, wenn sie das wüssten.“, grinste sie nur und erzeugte noch mehr Skepsis bei den anderen beiden Männern. „Dann wäre es nicht so ein großer Spaß. Die Frage ist nur, wie rechtfertigst du es?“

   „Ich bin der König von Ikana. Ich muss mich nicht für meine Vorlieben rechtfertigen.“

   „Gut. Du hast mich überzeugt. Aber du bringst sie trotzdem an die Grenze, oder?“

   „Danke, du hast auch mich überzeugt.“

 

   Er ließ von ihr ab und befahl einem der beiden Wächter zu den Seiten des großen, runden Steintores, die Pferde der Männer hereinzubringen. Im Nu standen die Reittiere hinter ihnen.

 

   „Es genügt, wenn ihr euch zu Seiten eurer Pferde hinstellt und sie berührt.“, sagte Kafei und Moe übersetzte es für Boro, wenn auch keiner der beiden wusste, was er damit anfangen sollte.

 

   Vollkommene Verwirrung in den Gesichtern, hielt jeder von ihnen eine Hand an den flachen Hals seines Pferdes und Kafei trat zwischen die Reittiere. Auch er legte je eine Hand auf ein Pferd und teleportierte sich mit allen so schnell zur Pforte nach Ordon und alleine wieder zu Anju zurück, dass Moe und Boro sich nur noch perplex über die Rücken der Tiere hinweg anstarrten.

 

   „Du Vollidiot.“, gluckste Anju.

   „Was.“, kicherte Kafei.

   „Dir ist echt nicht zu helfen.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Nachdenklich stand er am Fenster hinter dem thronartigen Stuhl und starrte in den mickrigen Hinterhof. Obwohl das Fenster nicht gerade klein war, musste er sich aufgrund der angrenzenden Stadtmauer schon etwas verrenken, um einen Streifen des grauen Frühabendhimmels zu sehen. Auch das Gras darunter war dürr und braun. Sein kondensierender Atem auf der Scheibe ließ ihn die Kälte im Freien erahnen. Aus reiner Langeweile hatte er sich durch all den Papierkram durchgewühlt. Nun war er fertig und Kafei noch immer nicht aus Ikana zurück. Schon wieder.

   Er fragte sich langsam, wie lange dieser Händler noch in seiner Zelle schweigen wollte. Morgen würde die Frist, der Hinrichtung zu entgehen, ablaufen. Bei dem Gedanken daran, stellte es Link nach wie vor die Nackenhaare auf. Natürlich würde Kafei die Strafe nicht selbst vollstrecken, aber sie anzuordern – das sah dem liebevollen Familienvater nicht ähnlich. Aber andererseits – was wusste er über diesen Mann? Vielleicht eine handvoll aus dem riesigen Fass an Wissen, das es über ihn zu erfahren gab. Und das nachdem er schon drei Viertel eines Jahres mit ihm zusammen war. In einer glücklichen Beziehung.

   Ohne es richtig zu realisieren, folgten seine Augen einer einzelnen, strahlend weißen Schneeflocke, die sanft auf den kargen Boden hinab schwebte. Erst als eine zweite neben ihr landete, wandte Link den Blick wieder nach oben, um noch mehr Schneeflocken zu sehen. Der Winter war da. Ganz leise. So zart konnte eine drastische Veränderung der Natur sein. Wie gebannt beobachtete er die Flocken. Etwa eine Minute lang. Dann überkam ihn der Drang, etwas zu tun. Irgendetwas. Doch was?

   Da fand er sich auch schon, in einen grauen Umhang gehüllt, vor der Tür des Rathauses wieder. Am Platz unten hüpften jubelnde Kinder. Sie feierten die Ankunft des Winters auf ihre eigene Art. Er bemerkte nicht einmal das Lächeln, das seine eigenen Lippen beim Anblick der fröhlichen Gesichter formten.

 

   „Toll, oder?“, riss ihn Taya aus seiner Trance.

   „Was?“, er hatte nicht bemerkt, dass sie vor ihm stand.

   „Na – es schneit!“, grinste sie.

   „Ja.“, hauchte er nur, den Blick noch immer über die Treppe hinweg nach unten gerichtet.

   „Was ist los? Ist was passiert?“

   „Wa- äh – nein. Ich – “

   „Link?“, ihre Stimme war schlagartig von Besorgnis erfüllt.

   „Mir ist nur langweilig.“

   „Dann geh Papa reiten.“, platze es aus ihr heraus, was Link endgültig aufweckte. „Äh – mit.“, ihre Augen weiteten sich verlegen, als er sie anstarrte – ihre Hände waren so schnell auf ihren Mund geklatscht, wie er es bis jetzt nur von ihrer Mutter kannte. „Ich meinte `mit´. Geh mit Papa reiten.“, knallrot im Gesicht hinter den kreidebleichen Fingern trat sie ein paar Schritte zurück und rannte davon.

   „Ja. Epona freut sich sicher darüber, in dieser Kälte einen Sattel umgeschnallt zu bekommen.“, seufzte er ihr hinterher.

 

   Ein Ausritt war vielleicht doch keine so schlechte Idee. Dennoch, da Unruhstadt endlich einen warmen Stall hatte, wollte er Epona nicht dieses Privileg nehmen. Er hatte sie gestern schon hinausgelassen, doch die Stute hatte sich nicht wirklich überzeugen lassen, im Freien zu bleiben.

   Nicht gerade um Ideen reicher, wischte er sich eine Schneeflocke von der Nase und überlegte, was er wirklich tun konnte, um sich seine Langeweile zu vertreiben. Vielleicht sollte er Anju helfen. Immerhin hatte sie heute etwas mehr Geschirr abzuwaschen und da die Wintersaison noch nicht begonnen hatte, waren sie und die Köchin alleine in der Küche.

   Endlich einen Anhaltspunkt im Gepäck, ging er die Treppe hinab und öffnete die Tür zum Gasthof. Als er sie wieder schloss, war vom Lachen der Kinder nichts mehr zu hören. Nur das Ticken der Uhr an der Wand unterbrach die Stille. Dann ein Klimpern. Anju saß hinter dem Tresen und zählte Rubine. Sie war so vertieft in die Abrechnung, dass sie ihn nicht bemerkte. Auch nicht, als er den Umhang auf den Kleiderständer hängte, sich auf das Sofa ihr gegenüber setzte, die Beine übereinanderwarf und sie direkt ansah.

   Sie schrieb noch ein paar Zahlen ein, sperrte die Kasse ab, gab sie in den kleinen Tresor unter dem Tresen, sperrte auch die Kassabücher mit ein und verließ die Rezeption nach hinten. Link hörte, wie sie etwas aus der Besenkammer holte. Dann kam sie mit einem Kübel, einer darin steckenden Schaufel und einem Besen um andere Ecke, bei der Treppe. Da Link jedoch durch eine größere Zimmerpflanze neben dem Sofa verdeckt wurde, sah sie ihn noch immer nicht. Er blickte ihr nur schweigend nach, wie sie die Treppe nach oben verschwand. Ihre Schritte wurden leiser und Link verschränkte seufzend die Arme. Die Glocke läutete Viertel vor sechs.

   Nach gut fünf Minuten holte er lediglich ein Buch aus dem Medaillon, betrachtete eine Weile den Einband und schlug es schlussendlich doch auf. Ohne wirklich hinzusehen, wanderten seine Augen über die Schriftzeichen, bis er am rechten oberen Ende angelangt war und umblätterte. Das wiederholte er in etwa fünfzehn Mal. Dann wurde das Kratzen und Schleifen des Besens laut genug, dass er sagen konnte, Anju war im ersten Stockwerk angekommen. Zwar hatte er das Gesicht noch auf das Buch gerichtet, beobachtete aber in den Augenwinkeln, wie lange Anju brauchte, um die Treppe herab zu kehren. Endlich bekam er sie wieder zu sehen. Oder eher, ihren Rücken. Als sie unten angelangt war, machte sie einen Haufen, lehnte den Besen an die Wand und holte den Kübel, um den Haufen hinein zu schaufeln. Danach kehrte sie weiter, in Richtung Eingangstür. Erst als sie um den Topf des Busches herumkehrte, bemerkte sie, dass jemand am Sofa saß und erschrak.

 

   „Meine Güte, Link!“

   „Hallo.“

   „Ja. Wie lange bist du schon hier?“, hauchte sie.

   „Eine Weile. Du warst so vertieft in die Abrechnung, da wollte ich nicht stören.“

   „Link.“, schnaubte sie mit einem Lächeln. „Das hättest du nicht. Was brauchst du?“

   „Nichts. Mir ist nur langweilig. Da wollte ich sehen, ob ich dir in der Küche helfen kann. Aber ihr seid anscheinend schon fertig.“

   „Ja. Schon länger. Zu zweit geht es schneller. Aber du könntest Kafei’s Wochenplan durchkontrollieren.“, sie kehrte weiter.

   „Hab ich schon. Alles kontrolliert, eingetragen, sortiert. Deine Sachen auch.“

   „Oh. Danke.“

   „Keine Ursache.“

   „Beine hoch.“, er tat kurz wie geheißen, damit sie auch vor dem Sofa kehren konnte, stellte aber die Beine gleich wieder ab, nachdem der Besen weg war. „Was liest du da?“, er hielt kurz das Buch in die Höhe. „`Von den Schlachten´.“

   „Das kannst du lesen?“, ihr Blick war unmissverständlich.

   „Ich kenne Kafei seit wir vier Jahre alt waren. Inzwischen bin ich mehr als achteinhalb Jahre mit ihm verheiratet. Was wäre ich, wenn ich diese Sprache nicht fließend sprechen und schreiben könnte?“

   „Hmm. Dumm?“, überlegte Link. „Faul? Desinteressiert?“

   „Wohl war.“, schmunzelte Anju. „Wenn du Hilfe brauchst, sag’s mir.“

   „Eigentlich verstehe ich so gut wie gar nichts. Ich finde nur die Schrift schön.“

   „Na chrephamna.“

   „Wieso glaubst du mir nicht?“

   „Das verstehst du also.“

   „Ich habe von der Schrift gesprochen.“

   „Kheij sultha tharmujar lathé?

   „Suithal.“

   „Dafür ist deine Aussprache aber gut.“

   „Nani hala soluda khaijs.“

   „Sag ich doch.“

   „Ja. Trotzdem wäre ich froh, wenn mir irgendjemand diese Sprache ordentlich beibringen würde. Wenn Kafei mit mir Shiekjiarnjinjú spricht, ist sein Wortschatz eher eintönig. Und fordern.“, Link nahm den Blick wieder von ihr, in der Hoffnung, die Wärme in seinem Gesicht so weit reduzieren zu können, dass er nicht rot wurde.

   „Und ganz leise.“, setzte Anju seinen Satz fort, weiterkehrend.

   „Hör auf, ja?“, zischte Link zum Buch.

   „Absolut das Letzte, das man brauchen kann, wenn man ohnehin schon versucht, nicht vor ihm zu kommen.“

   „Anju.“, knurrte Link nun.

   „Was?“, kicherte sie. „Du hast mit dem Thema angefangen.“

   „Ja, ja. Es schneit übrigens.“

   „Wirklich?“, staunte Anju, als sie auch um den dritten Topf kehrte. „Wurde auch langsam Zeit. Viel?“

   „Genug, um Kinder glücklich zu machen. Ich vermute, sie sind weitergerannt. Sonst müsste man doch etwas hören.“

   „Die Tür dichtet sehr gut und die Uhr ist laut.“

   „Ich weiß. Hab ich gemerkt.“, bestätigte Link, den Kopf hebend und Anju weiter beobachtend. „Faszinierend.“

   „Ja. Dass eine Tür mehr Lärm abhält als diese dumme Wand im ersten Stock.“

   „Das meinte ich nicht.“

   „Was dann?“

   „Du hast dich sehr verändert.“

   „Inwiefern?“, fragte Anju, verwirrt wirkend.

   „Damals – vor der Hochzeit – du warst schüchtern. Entschlossen, ja, aber auch schüchtern und zurückhaltend. Gut – das waren drei Tage, die sich immer wieder wiederholt haben. Aber jetzt kenne ich dich doch schon eine Weile. Schon in diesen anderen drei Tagen war das eine andere Frau als die, der ich geholfen habe, zu heiraten. Und dann – ein Jahr später – Ikana hat dich sehr verändert.“

   „Ich weiß. Vieles hat sich geändert. Ich habe zwei Kinder, bin Besitzerin des Gasthofs meiner Mutter, die ich aus der Stadt gejagt habe, bin Bürgermeisterin und Königin. Wenn das alleine nicht reicht, um sich zu verändern, dann kann ich dir noch tausend andere Dinge aufzählen.“, Link nickte und packte das Buch in sein Medaillon.

   „Aber manche Dinge ändern sich nie.“, er erhob sich langsam auf und ging auf sie zu.

   „Welche Dinge?“, er stand nun vor ihr.

   „Die Art – wie du – “, flüsterte er nachdenklich, legte die Finger seiner linken Hand um den Besenstiel und starrte darauf.

   „Hm?“

   „Den Besen hältst.“

   „Was?“, gluckste sie leise.

   „Wie du dich bewegst, wenn du kehrst – die Schritte – wie du sie setzt – wie dein Rock dabei schwingt – die Armbewegungen – deine Blick dabei, wenn du in Gedanken bist – das – hat sich nicht geändert.“, kaum merklich den Kopf schüttelnd, sah er ihr direkt in die Augen. „Nicht nach all den Jahren.“

   „Das ist mir gar nicht aufgefallen.“, hauchte sie.

   „Mir aber.“, flüsterte Link, beinahe von dem lauten Klacken der Uhr übertönt, als die Tag-Nacht-Scheibe sich drehte und dem dumpfen Schlagen der Glocke am Südplatz verschluckt. „Ich habe dich damals immer wieder beobachtet. Deshalb weiß ich es.“, sie löste ihre rechte Hand vom Stiel und legte sie sanft auf seine Finger, ein nicht deutbares, zaghaftes Lächeln auf den Lippen. „Kafei hat nach der Vase gefragt.“, das Lächeln verschwand. „Ich hab ihm gesagt, dass ich sie aus Versehen umgestoßen hab und dass sie dabei runtergefallen ist.“

   „Wie hat er reagiert?“, Link verzog kurz die Lippen.

   „Er war schon etwas traurig. Dann hat er gemeint, dass es nicht weiter schlimm ist. Wieso sagt er das? Das war eine Vase seiner Mutter!“, jammerte Link, jedoch nicht lauter werdend.

   „Ich weiß. Hat er noch etwas gefragt? Wie es genau passiert ist?“

   „Nein.“, Anju atmete erleichtert auf. „Er hat nur gesagt, es sei zu erwarten gewesen. Dass ich immerhin dazu neigen würde, Vasen und Krüge zu zerstören.“

   „Da hat er in der Tat Recht.“, schmunzelte Anju, wenn auch nicht gerade amüsiert.

   „Ich weiß.“, grummelte Link. „Vorhin ist ein Brief gekommen. In ihm stand, ich solle Kafei auf ein Getränk einladen und ihm schonend beibringen, dass ich aus verlässlicher Quelle wüsste, dass seine Frau ihn betrügt.“

   „Was?“, war Anju mit einem Mal putzmunter.

   „Mit dem König von Ikana.“

   „Oje.“, seufzte Anju und ließ den Kopf an Link’s Brust fallen, musste aber leicht kichern.

   „Ich nehme an, du weißt, von wem der Brief ist?“

   „Ich kann’s mir denken.“, murmelte Anju in Link’s Gilet, die eine Hand noch immer auf seiner am Besenstiel und die andere direkt auf selbigem.

   „Wieso habt ihr mir nicht gesagt, dass Moe und Boro in Ikana waren?“

   „Das ist etwas kompliziert.“

   „So hat der Brief auch geklungen.“, seufzte Link und legte den rechten Arm um Anju. „Sollte ich ihn auf ein Getränk einladen?“

   „Keine Ahnung.“, gluckste Anju gedämpft, Link’s Kopf auf ihrem. „Du musst selbst wissen, ob du ihm eine Ohrfeige verpasst. Ich hätte es am liebsten getan.“

   „War es so schlimm?“

   „Nein. Aber kindisch und dumm. Solche Späße können ganz leicht nach hinten losgehen. Und plötzlich musst du vor wildfremden Leuten deine Unschuld beweisen.“

   „Hat er dich mit so etwas schon einmal in Schwierigkeiten gebracht?“

   „Was?“, sah Anju auf. „Nein. Aber ich meine ja nur. Es gibt nun einmal Leute, die sich alles zurecht legen, wie sie es haben wollen. Ob die Sache nun der Wahrheit entspricht oder nicht.“

   „Das kenne ich nur zu gut.“, seufzte Link. „Wegen so jemandem hab ich mal eine Nacht im Kerker verbracht. Nur weil ich mir bei seinem Konkurrenten etwas zu Essen gekauft habe. Er hat mich reden hören, wie ich diesem gesagt hab, dass ich den Minish wieder eine nette Summe abgeknöpft habe. Das Stück Wiese war eben ziemlich voll und ich hab darüber gescherzt. Der Typ wusste ja nicht einmal, wer die Minish sind. Aber eine Gasse weiter haben mich die Wachen abgefangen und behauptet, ich hätte diesen Händler ausgeraubt. Dummerweise hat der Inhalt meines Geldbeutels zu dieser Zeit nicht seinen Angaben entsprochen. Ich hätte also irgendwo zwischen Essen-Kaufen und eine Gasse weiter gehen dreihundert Rubine verstecken müssen. Aber die hatte ich nicht einmal vor dem Kauf. Trotzdem haben sie mich eine Nacht lang eingesperrt, bis sich das geklärt hat.“

   „Hast du von ihm Schadensersatz gefordert?“

   „Konnte ich nicht. Zelda hat ihn vorher aus der Stadt werfen lassen. Aber die modrigen Strohballen dort unten sind immerhin besser als so manche Höhle. Damals hatte ich noch kein Zimmer im Schloss.“

   „Oh. Aber zumindest kann ich dir sagen, dass dir das hier nicht passieren wird. Selbst nicht, wenn du wirklich etwas mitgehen lässt. Du kannst zwar eine Standpauke von Kafei erwarten, aber die Wachen haben nicht das Recht, jemanden der unter politischem Schutz steht, ohne direkten Befehl festzunehmen. Nicht einmal, wenn du jemanden auf offener Straße ermordest.“

   „Ich stehe unter politischem Schutz?“, war Link sichtlich überrascht.

   „Die ganze Familie genießt Immunität. Als Kafei’s Trauzeuge bist du ein rechtmäßiges Familienmitglied.“

   „Das heißt also, Romani könnte mir ohne mit der Wimper zu zucken einen Pfeil ins Auge schießen, ohne dafür belangt zu werden?“

   „Belangt schon. Aber die Wachen dürfen sie nicht an der Flucht hindern, bis nicht Kafei oder ich, beziehungsweise Dotour oder Esra, die wie du weißt unsere Stellvertreter sind, direkt vor Ort eine Festnahme anordern. Familieninterne Racheakte gehen sie nichts an. Ihr könntet euch gegenseitig totprügeln und dabei so viele Zivilisten verletzen wie ihr für nötig haltet. Sie dürfen nicht einschreiten.“

   „So betrachtet ist es wieder unfair.“

   „Tja, aber niemand hat je gegen dieses Gesetz protestiert. Wohl – aber da hat Igos noch gelebt. Und da war ja auch noch Ilsharin Bürgermeister.“

   „Ah – jetzt wo du’s sagst, fällt mir ein, dass ich nie danach gefragt hab. Wie hat eigentlich seine Frau geheißen? Nur um zukünftige Verwirrungen auszuschließen.“

   „Kafei’s Großmutter? Zthanuij. Von ihr hat er den Anhänger bekommen.“, mit dem linken Zeigefinger hob sie kurz den Anhänger der Erinnerungen von ihrer Brust.

   „Ach. Und ich dachte immer, der wäre von Ajrini’s Mutter gewesen.“

   „Nein. Der kommt von der anderen Seite. Der goldene Kristallkäfer ist das alte Wappentier der Garo. Die Königsfamilie hatte stets den Phönix. Der unsterbliche Vogel, der sich aus seiner eigenen Asche erhebt, schöner und mächtiger als zuvor. Er wird im Feuer der Sonne wiedergeboren. Im Inferno über dem Meer stirbt er und ersteht neu in der Glut der aufgehenden Sonne über der Steinwüste. Deshalb auch die Flammen, so rot wie blut, so rot wie das Glühen in ihren Augen.

   „Und der Käfer?“

   „Der Käfer ist klein und übersehbar. Er krabbelt in das Gefieder des Phönixes und seine Kristalle aus nie schmelzendem Eis frieren ihn von innen heraus ein. Das Gold versteht sich sowohl als Machtsymbol als auch als die neue Sonne.“

   „Langsam ergibt es Sinn.“, überlegte Link. „Wann hat Dotour sich tätowieren lassen?“

   „Das war sein Hochzeitsgeschenk an Ajrini. Es war das letzte Glied in der Reihe an Dingen, die Igos davon überzeugt haben, dass Dotour anders ist als seine Familie; dass er sich gegen die Garo gestellt hat. Igos hat es erst etwa fünfzig Jahre später zu Gesicht bekommen, kurz nach Kafei’s Geburt.“

   „Er hatte die aufgehende Sonne, die Flammen und das Emblem der Königsfamilie schon fünfzig Jahre am Körper und niemand hat es bemerkt? Ich meine, sein Vater hätte ihn doch sicher verstoßen, oder?“

   „Das hätte er am liebsten schon nach der Hochzeit. Sie haben heimlich geheiratet, weil sie wussten, dass es sonst in einem Massaker geendet hätte. Aber Ilsharin hat es plötzlich aus der selben Sicht gesehen wie Igos. Aus der selben, von Grund auf falschen Sicht. Er hat in seinem Sohn den gesehen, der Igos stürzt und Ikana endlich den Maranóshu zuspielt. Und für Igos war Feuer am Dach. Er hat seine Großnichte für verrückt erklärt. Keiner der beiden hat Liebe als Grund in Erwägung gezogen.“

   „Noch dazu eine so große.“

   „Vielleicht gerade deshalb. Vielleicht weil sie auf Ablehnung und Zurückweisung an allen Ecken und Enden gestoßen sind, sitzt diese Liebe noch immer so tief in Dotour’s Herz und Seele. Vielleicht war es genau das, das diese Liebe umso stärker gemacht hat. Diese Liebe war ein Geschenk. Zwar absolut kein leicht zu bewältigendes Geschenk, aber ein großes. Und ich bin dankbar, dass solch eine Gabe auch mir geschenkt wurde und Kafei sie geerbt hat. Andernfalls hätten wir das nicht geschafft.“

   „Und dann das.“, hauchte Link schlaff mit Blick auf Anju’s Hand, die noch immer auf seiner ruhte.

   „Ja. Du stellst doch sonst nicht so viele Dinge infrage. Größere Dinge. Warum das dann?“

   „Du weißt, wovon ich rede?“

   „Natürlich weiß ich, wovon du sprichst.“, sagte Anju, schüttelte aber mit gesenktem Blick und geschlossenen Augen den Kopf. „Und seien wir ehrlich – wir beide wissen, was Kafei in den drei Jahren getan hat, in denen ich in Kakariko war. Wenn er auch manche Erfahrungen aus guten Gründen bereut, so bereut er dennoch keine Entscheidungen. Gibt es eine Entscheidung, die du bereust? Irgendeine? Irgendwo an irgendeinem Punkt deines Lebens? Und bitte sei ehrlich.“, Link musste ernsthaft eine Weile überlegen.

   „Nein.“

   „Und wie sieht es mit Erfahrungen aus?“, ihre Augen trafen sich direkter als je zuvor.

   „Nein.“, sagte Link, begreifend, dass es er absolut nichts bereute.

   „Siehst du? Das ist der Unterschied zwischen Kafei und dir. Kafei bereut einige Erfahrungen. Keine Entscheidungen, natürlich. Er hat aus gutem Gewissen gehandelt. Die negativen Erfahrungen kamen durch Fehleinschätzungen. Er hat andere Leute falsch eingeschätzt und das hat ihm mehr Leid zugefügt, als du dir vorstellen kannst. Deshalb verdrängt er. Er wächst nicht daran. Diese Dinge machen ihn nicht stark. Sie schwächen ihn. Noch etwas, das er von seinem Vater hat. Im Unterschied zu ihnen, versuchst du nicht, die Erinnerung an deine Qualen zu verdrängen. Du nutzt sie als Vorteil für dich. Weil du den Mut hast, dich deinen Ängsten zu stellen. Du hast geträumt, dass Kafei stirbt. Er hatte die Kraft dich zu überzeugen, dass er es nicht wird, obwohl er dir noch mehr geglaubt hat, als du selbst. Am Ende warst es doch du, der den Mut hatte, den Kampf dennoch zu wagen. Du hast dein eigenes Leben riskiert, um Kafei seines zurückzubringen. Glaub mir. Kafei wusste, dass er an diesem Tag sterben würde. Und dann hattest du diesen Traum.“

   „Er hat mir nie erzählt, dass er es gewusst hat.“

   „Er hat es gespürt. Ich denke, jeder weiß, wann es aus ist. Du etwa nicht, als du das erste Mal wirklich gestorben bist?“

   „Eigentlich nicht. Ich war viel zu beschäftigt damit, zu verstehen, was eigentlich los war. Den ganzen Tag lang und auch die ganze Woche davor. Außerdem war ich ein Kind. Und als ich Farore beim nächsten Mal wieder vor mir hatte, wusste ich, dass ich keine Angst zu haben brauche. Ich meine, beim zweiten Mal war mir schon bewusst, dass es eng werden würde. Aber immerhin wusste ich ja auch schon vor dem ersten Mal, dass ich Farore auf meiner Seite habe.“

   „Wieder ein Unterschied zwischen seinem Tod und deinen. Du wusstest, dass dich eine Göttin beschützt und wieder zurückholt. Er hatte keine Ahnung von seiner Bestimmung. Nicht im Geringsten. Er war panisch. Weißt du, er wollte alles Mögliche erledigen. Alle Rechnungen begleichen. Getan hat er nichts, weil er psychisch am Ende war. Und dafür hat er sich auch noch gehasst.“

   „Ich denke, ich sollte ihn wirklich auf ein Getränk einladen.“, seufzte Link.

   „Was auch immer. Versteh nur, dass wir ihm helfen müssen, stark zu sein. Wir müssen ihn auf dem Weg zu seiner wahren Kraft helfen. Ja, er ist sehr stark, aber seine Selbstzweifel hindern ihn an mehr. Und vielleicht solltest du Dotour mitnehmen. Er flüchtet sich in Sport. Wenn er so weitermacht, hat er bald Beine wie ein Frosch und Arme wie ein Affe. Falls Esra in der Bar sein sollte, werft sie raus, bevor sie vergisst, wie frische Luft und Gras riechen.“

 

 

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