- Kapitel 1 -

Zeit

   „Bitte verlasse nun die Stadt. Wir bleiben hier. Wir wollen zusammen die aufgehende Sonne begrüßen.“

   „Ich werde die Stadt nicht verlassen. Ich kümmere mich um den Mond. Meine Aufgabe ist es, Termina zu retten. Flieht, denn ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde.“

 

   Mit diesen Worten stürmte Link, begleitet vom Schlagen der Glocke, aus dem Raum und hinaus in Richtung Uhrturm.

 

   „Ich liebe dich, Anju.“, hauchte Kafei. „Komm. Er hat Recht. Wir müssen von hier weg.“

 

   Als Kafei seine geliebte Anju daraufhin küsste, geschah etwas, mit dem keiner der beiden gerechnet hatte. Kafei selbst spürte ein Kribbeln und Ziehen in seinem gesamten Körper. Verschreckt ließ er von Anju ab und er sah, wie seine Gliedmaßen und Kleider zu wachsen begannen und seine Sicht sich immer weiter vom Boden entfernte. Auch Anju war nicht minder überrascht, als ihr Verlobter plötzlich in seiner ursprünglichen Gestalt vor ihr stand.

 

   „Wenn ich das gewusst hätte!“, fauchte Kafei. „Ich alter Narr! Natürlich! Die stärkste Macht ist die Liebe! Hätte all das nicht passieren müssen, wenn ich nicht so feige gewesen wäre und mir von der Großen Fee Hilfe erwartet hätte? Aber – “

 

   Die Erde bebte heftiger denn je. Dann – seltsame Klänge hallten unheimlich durch alle Ritzen des Gasthofes. Kafei packte Anju an der Hand und zerrte sie nach draußen, die Treppe zum Rathaus hoch und hinauf auf das Dach der Milchbar. Der Mond stand nun so tief, dass vom Himmel fast nichts mehr zu sehen war. Alles zitterte. Ein glühend roter Schimmer hatte sich über die gesamte Stadt gelegt und das Beben wurde zudem ruckartiger. Die Geräusche von scheinbar gigantischen Schritten übertönten das Rumoren des immer näher kommenden Mondes. In immer kürzeren Abständen schlug die Glocke. Anju und Kafei standen eng umschlungen am flachen Holzdach, die Haare und Gewänder im heftigen, vom Mond ausgehenden Wind wüst peitschend. Einer der Bomber stand an ihrer Seite, die Angst und Ungewissheit ins Gesicht geschrieben. Zwei weitere gesellten sich zu ihnen und beobachteten das Näherrücken des schier Unabwendbaren.

   Es gab einen erneuten Ruck. Laute, wie das Wehklagen von Göttern, hallten schaurig durch die Dämmerung. Dann stand alles still. Der Wind ebbte – der rote Schimmer verblasste – nichts bebte mehr. Es herrschte nur noch Totenstille. Selbst die Glocke hatte nun aufgehört zu schlagen. Doch die Stille hielt nicht lang. Plötzlich bebte es abermals. Ein glimmend goldroter Strudel verband die Spitze des Uhrturms mit dem Mond. Etwas wurde durch ihn in die Höhe gezogen. Etwas Größeres folgte ihm. Dann versiegte der Strudel und es kehrte wieder Stillstand ein. Kafei wusste, dass dies ihre einzige Chance war.

 

   „Holt eure Kameraden und alle die ihr auf eurem Weg finden könnt.“, sagte er zu den Jungen. „Bringt sie vor das Osttor. Anju. Hol den Postmann. Ich bin mir sicher, der Ärmste ist noch immer hier. Schau in allen Läden der Weststadt nach, ob sonst noch jemand da ist. Bring her, wen du zur Flucht überreden kannst. Schaffst du das?“, Anju nickte nur zitternd, dicke Tränen in den Augen. „Beeilt euch. Ich weiß nicht, ob und wie viel Zeit uns noch bleibt. Aber ich lasse niemanden hier zurück, den ich retten kann.“

 

   Er selbst rannte ebenfalls vom Dach herunter und riss die Tür zur Bürgermeisterresidenz auf. Ein behelmter Kopf blickte links um die Ecke.

 

   „Kafei?“, rief der Wachmann ungläubig. „Hauptmann! Es ist der Sohn des Bürgermeisters! Er ist zurückgekehrt!“

   „Was?“, schluchzte dieser und lugte ebenfalls ungläubig um die Ecke.

   „Was um alles in der Welt macht ihr noch hier?“, rief Kafei verwundert über seine eigene Verärgerung. „Raus mit euch vors Osttor! Schnell! Es gibt noch Hoffnung für Termina, aber wir sollten trotzdem fliehen. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.“

 

   Ohne zu antworten, sahen die beiden Kafei’s Worte glücklicherweise als direkten Befehl an und verließen das Gebäude, während er die Tür zum Büro seines Vaters aufstieß. Dieser saß noch in seinem Stuhl, das Gesicht in den auf dem Tisch verschränkten Armen vergraben, und weinte bitterlich.

 

   „Vater!“, er rannte zu ihm und versuchte, ihn hochzuziehen.

   „Nein. Kann das sein? Kafei?“

   „Ja, ich bin es. Komm schon! Wir müssen hier weg.“, forderte er. „Ich erklär dir alles später. Wo ist Mutter?“

   „Sie ist noch in der Milchbar, vermute ich. Sie hat gesagt, sie flieht nicht ehe du zurückgekehrt bist.“, jammerte Dotour und wischte sich die Tränen aus den Augen.

 

   Halb stolpernd eilten die beiden Männer hinaus auf den Ostplatz. Dort hatten sich inzwischen mehr Leute versammelt, als Kafei befürchtet hatte. Es gab nur einen Ort, an dem sie wirklich sicher waren, falls es eine Druckwelle geben sollte – denn ein herabstürzender Himmelskörper konnte nach Kafei’s Logik eine sehr große Druckwelle verursachen – und nur eine Möglichkeit, all diese Leute dort hin zu bringen. Er steckte die Finger in den Mund und ließ einen melodiösen Pfiff erklingen. Dann widmete er sich der Tür zur Milchbar, die zu allem Überdruss nicht aufgehen wollte – und das kurz vor dem Weltuntergang. Ohne zu zögern, trat er sie einfach aus den Angeln, ignorierte die Proteste seines Vaters, schwang sich mit zwei Schritten über das Treppengeländer und landete fast grazil und unbeschwert wenige Schritte von seiner Mutter entfernt.

 

   „Um Himmels Willen!“, rang diese fassungslos um Luft. „Ich wusste doch, dass du lebst! Aber du musst es mir nicht so sehr verdeutlichen!“

   „Schon gut, Mutter.“, lachte Kafei und schloss sie kurz in die Arme. „Wir müssen fort von hier. Link versucht den Mond aufzuhalten. Aber wir sollten dennoch weg. Ich weiß, wo wir sicher sind. Warte. Nimm eine leere Flasche mit. Ich helfe dir hier drüber.“

   „Link?“, stutzte Madame Aroma, als Kafei dem Barkeeper samt Flasche über die Theke geleitete.

   „Hast du ihn nicht nach seinem Namen gefragt? Der, den du auf die Suche nach mir geschickt hast!“, raunte Kafei, schon auf der Treppe.

   „Dieser – Junge – versucht – den – Mond – aufzuhalten?“, stöhnte sie mit jedem für ihre Statur doch sehr schnellen Schritt die Treppe hinauf. „Der – schreckt – aber – auch – vor – keiner – noch so – aussichtslosen – Aufgabe – zurück!“

 

   Gerade als sie die Bar verließen, klackerten zehn Knochenwesen durch das Osttor. Einst waren sie Pferde gewesen, doch waren nur noch ihre Skelette übrig, zusammengehalten von wenigen Sehnen und den spärlichen, zerfetzten Stoffstücken ihrer vormals reichlich verzierten Satteldecken. Glücklicherweise trugen sie auch ihre Sattel noch, denn andernfalls wäre es ein äußerst ungemütlicher Ritt geworden. Noch unheimlicher wurde die ohnehin schon gespenstische Situation durch die feurig glühenden Augen der Pferde.

 

   „Mutoh hat sich nach wie vor nicht überreden lassen.“, seufzte Viscen.

   „Nun gut.“, meinte Kafei. „Dann bleibt er eben zurück. Entweder ist sein Glaube stärker als sein Verstand oder er ist einfach nur naiv. Egal. Es ist seine Entscheidung.“

 

   Schnell hatte Kafei eingeteilt. Seinem Freund aus dem Kuriositätenladen und Herrn Barten half er auf eines, dem Postboten und dem Bankier auf ein weiteres. Jeweils drei Bomber sowie je zwei Wachen teilten sich ein Tier. Sein Vater und, auf wundersame Weise auch seine Mutter, schafften es eigenhändig separat in die Höhe. Zuletzt half Kafei seiner zitternden Anju hoch, bevor er sich hinter sie schwang. Dann sagte er etwas in einer Sprache, die allem Anschein nach nur er, sein Vater und die Reittiere verstanden, denn fast alle anderen sahen ihn etwas verwirrt an.

 

  Lauft so schnell der Sand euch trägt. Nur die Toten können uns noch schützen.“

   „Welche Toten?“, fragte Dotour unsicher, als die Skelettpferde klappernd und knirschend so schnell aus der Stadt eilten, dass einige der Reiter ernsthafte Probleme mit dem Festhalten hatten.

   „Der Friedhof. Die Königsgruft ist groß und tief genug, um uns Schutz zu bieten, falls der Mond fallen soll- “, er brach kurz ab.

 

   Auch die anderen staunten auf die gigantischen Beine vor dem Tor. Soweit es ging, versuchten sie Blicke auf das Wesen zu erhaschen, dass durch diese Beine getragen wurde.

 

   „Sollte.“, beendete Kafei seinen Satz. „Der Untergrund des Uhrturms wäre ebenfalls sicher, aber wir müssten viel zu weit in die Passage hinein. Die Gesteinsmassen beachtend, müssten wir uns vermutlich bis hinauf in die Wälder Hyrule’s durchschlagen. Und die Alten Wege sind nicht mehr intakt. Ich fasse es nicht. Er hat tatsächlich die Giganten gerufen.“, sah Kafei ein letztes Mal zurück, bevor sie in die Schlucht einbogen.

   „Was – was sind das für – ?“, starrte Anju den blau flammenden Totenköpfen nach, zwischen denen sie widerstandslos hindurchritten.

   „Keine Sorge. Sie tun uns nichts. Zumindest nicht hier oben. Zu Fuß hätten wir vielleicht ein paar Schwierigkeiten.“

 

   Doch die hatten sie weiterhin nicht. Mühelos sprangen die Geisterpferde über die Zäune hinweg und über die Steinterrasse zum Friedhof von Ikana hinauf. Für einen kurzen Moment sah Kafei die aufgehende Sonne hinter den Felsentürmen hervorblitzen, bevor die Reittiere knarrend und wiehernd zusammenschliffen. Man konnte nicht sagen, wer skeptischer war: die Reiter oder die Knochengänger zwischen den Gräbern. Einer ging auf Kafei zu, der es als Einziger gewagt hatte, abzusteigen.

 

  Du kannst sie reiten?“, fragte das Skelett in der seltsamen Sprache, die Kafei zuvor benutz hatte.

  Jeder kann sie reiten, solange einer da ist, der sie rufen kann.“, antwortete Kafei mürrisch, mit sichtlicher Abneigung für sein Gegenüber.

  Natürlich.“, lachte der Knochengänger. „Aber du bist hier dennoch nicht erwünscht. Geh wieder und nimm dieses Pack mit.“

  Das kann ich nicht. Der Mond stürzt herab.“, deutete Kafei auf das noch immer tief schwebende Himmelsgebilde.

  Was kümmert mich der Mond. Ich muss dieses Ding nicht fürchten.“

  Du hast ein Treuegelübde abgelegt. Gehorsam bis in den Tod und darüber hinaus. Ihr alle habt das.“

  König Igos ist selbst tot.“

  Eben. Dann hast du ihm erst recht zu dienen. Er hat die Lebenden und die Toten stets als gleichwertig betrachtet. Und das solltest du auch, Urol.“

   „Urol?“, hauchte Dotour fast unbemerkt zu sich selbst.

   „Dieser Halsabschneider, von dem du mir erzählt hast?“, flüsterte seine Frau neben ihm.

  Jetzt tut zweien der letzten deines Volkes einen Gefallen und geht beiseite. Und ich warne euch. Einer von euch berührt einen von uns auch nur ansatzweise und ich hacke euch allesamt mit bloßen Händen in eure Einzelteile.“

 

   Ein paar vielsagende Blicke wurden ausgetauscht und die Knochengänger zogen sich vom Weg zurück, um die Fliehenden absteigen zu lassen. Hastig rannte Kafei, gefolgt von seinen ängstlichen Mitstreitern zum Haus des Totengräbers und hämmerte so stark er konnte gegen die Tür.

 

   „Ich bin es, Kafei! Mach auf! Schnell!“, das Schloss klickte und eine verwirrte Fratze lugte durch die einen Spalt breit geöffnet gewordene Tür.

   „Was zum – ?“

   „Lass uns rein. Bitte. Ich erkläre alles, wenn wir unten sind.“

   „U-u-unten? In der K-k-königsgruft?“

   „Bitte!“, flehte Kafei, als der Boden plötzlich kurz aufbebte, da einer der Giganten einen Augenblick lang nachgegeben hatte.

   „Er fällt wirklich, oder?“, jammerte der Totengräber.

   „Bitte!“, flehte Kafei erneut.

   „Schon gut, schon gut! Kommt rein. Ich habe aber keine Fackel mehr. Und der Schatten ist noch immer dort unten.“, hauchte er, während er die Meute einließ.

   „Der Schatten, der dich packt und hinauswirft? Mit diesem Deckengrapscher werde ich schon fertig. Gib mir bitte deine Schaufel.“

 

   Als sich endlich alle zwischen die inzwischen geschlossenen Tür und die Treppe in die Gruft gequetscht hatten, stellte Kafei sich auf die erste Stufe und bedeutete allen, noch im Raum zu bleiben. Sie waren ohnehin schon zu verängstigt, um in die stockfinstere Grufthalle hinabsteigen zu wollen. Er jedoch sprang mit einem Satz hinab.

 

   „Kafei!“, rief Anju. „Weißt du auch, was du da tust?“

   „Ich kenne mich hier unten aus. Ich bin hier aufgewachsen. Außerdem kann ich im Dunkeln sehen.“

   „Was? Wie das?“

   „Ich könnte es auch, wenn ich nicht ständig übermüdet wäre.“, bemerkte Dotour.

 

   Ein unheimliches Rumoren ging durch den Raum und die Erde bebte erneut. Doch das Rumoren war nicht von der Erschütterung ausgegangen, wie lediglich drei von ihnen wussten. Das spärliche Licht des Kaminfeuers, das zwischen Türrahmen und den Köpfen der Menge hindurchdrang, schaffte es nicht einmal drei Fuß weit in die Finsternis. Deshalb war Kafei’s Tun für die anderen ausschließlich zu hören. Er allerdings sah ganz genau, was um ihn herum vor sich ging. Sachte legte er die Schaufel nieder, da er wusste, dass er mit ihr nichts ausrichten konnte. Den Kopf zum bemalten Steinboden geneigt, wuchs ein hämisches Lächeln auf seine Lippen. Dann, als die Konturen des kreisrunden Schattens in der Dunkelheit am schärfsten waren, machte er einen Satz auf die Seite und die riesige Hand klatschte neben ihm auf. Behände zog er einen Dolch aus seinem Stiefel und stellte sich der Hand, welche wie eine Spinne um ihn zu tänzeln begann.

   Als sie auf ihn sprang, rollte sich Kafei unter ihr hindurch und stach ihr drei schnelle Male ins Gelenk. Unter Ächzen sackte die Hand zusammen und ging in Flammen auf. Er steckte seinen Dolch zurück in die Scheide in seinem Stiefel, schnappte sich wieder die Schaufel und begab sich gezielt zu dreien der mit lockerer, sandiger Erde gefüllten Mulden im Boden, um zu graben. Als er die erste der Ewigen Flammen befreit hatte, gab er seinem Gefolge zu verstehen, dass sie nun ohne Bedenken zu ihm gehen konnten. Unter großem Staunen stiegen sie nacheinander die Treppe hinab und warteten, bis er die beiden anderen Flammen geborgen hatte und wieder in die Mitte des Raumes zurückgekehrt war.

 

   „Und?“, fragte Viscen. „Was jetzt?“

   „Jetzt – warten wir.“, seufzte Kafei, nahm auf dem kalten Steinboden Platz und bedeutete Anju, sich an seine Seite zu setzen.

   „Klärst du uns nun endlich auf?“, fragte Madame Aroma, die sich, wenn auch nicht ohne Mühen, neben Anju schräg an seine linke Seite setzte, während sich Dotour zu Kafei’s Rechten niederließ. „Ich meine, in deinem Brief hast du dich zumindest ein bisschen gerechtfertigt. Aber das erklärt mir nicht, wie ein kleiner Junge den Mond aufhalten kann, der von einem verwunschenen kleinen Jungen zum Absturz gebracht wurde.“, auch die anderen setzten sich allmählich.

   „Ja. Das Horror Kid. Zumindest ist das der Name, den ihm alle geben. Er hat mich in ein Kind verwandelt. Als ich, unnötigerweise, wie ich vor dieser Aktion hier feststellen musste, zur Großen Fee gehen wollte, um sie um Hilfe zu bitten, hat mir dieses Aas von Sakon meine Sonnenmaske gestohlen. Ich fürchte, ich habe mich ein wenig zu sehr geschämt, so unvorsichtig gewesen zu sein.“, seufzte Kafei. „Deshalb habe ich mich versteckt. Aber Link hat mir geholfen, die Maske wiederzubekommen. Er hat Anju und mich wieder zusammengebracht. Das war das letzte das er getan hat, bevor er zum Uhrturm geeilt ist, um zu versuchen, dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen, denn nicht nur Sakon ist ein Dieb. Für uns mögen es drei Tage gewesen sein, aber Link besitzt eine mächtige Okarina. Ich nehme an, alle hier wissen um die Alten Melodien Bescheid?“

 

   An ihren Blicken erkannte er, dass dem nicht auch nur annähernd der Fall war. Es wussten nur die von den Melodien, von denen er es auch erwartet hatte.

 

   „Es sind Melodien, die verborgene magische Kräfte befreien können.“, fuhr Kafei fort. „Doch sie sind nutzlos, ohne eines der Göttlichen Instrumente. Eines davon ist die Okarina der Zeit. Sie ist das mächtigste und wandelbarste Instrument. Sie kann nur von einem Auserwählten gespielt werden. Link hat sie von Prinzessin Zelda bekommen. Bereits zwei Mal. Ein machtgieriger Gerudo namens Ganondorf hat vor, sich Hyrule zu unterwerfen. Beim ersten Mal hat Zelda die Okarina auf ihrer Flucht in den Burggraben geworfen und Link die Hymne der Zeit mittels Telepathie beigebrach. Link hat die Okarina aufgesammelt und ist mit ihr geistesgegenwärtig in die Zitadelle der Zeit gerannt. Dort hat er das Portal geöffnet, das Heilige Schwert aus dem Sockel gezogen und wachte plötzlich sieben Jahre älter wieder auf. Hyrule war teilweise zerstört, verflucht und ohne Hoffnung. Aber Link hat nicht aufgegeben und die bösen Geister aus den heiligen Tempeln vertrieben.“

   „Dieser Junge soll das gemacht haben?“, fragte Viscen.

   „Ja. Mithilfe der Weisen und etwas mehr Hilfe von Zelda, hat er Ganondorf besiegt und Hyrule befreit. Doch Zelda war das nicht genug. Denn sie hatte als Kind nach Unruhstadt flüchten wollen, fand aber Ikana tot und Unruhstadt unter riesigen Felsbrocken begraben.“, alles wackelte erneut. „Sie wusste insgeheim, dass es der kleinere unserer zwei Monde war, da er am Nachthimmel nicht mehr zu sehen gewesen war. Aus seinen Bruchstücken las sie seine Geschichte heraus. Die ganzen sieben Jahre hat sie sich mit ihrer Leibwächterin in den Ruinen von Ikana versteckt, da auch sie ohne die Okarina oder das Schwert nicht in die Vergangenheit reisen konnte.“

 

   Während er erzählte, überkamen Kafei seine eigenen Erinnerungen, die er schon längst bewältigt geglaubt hatte.

 

   „Als sie gespürt hat, dass die Zeit gekommen war, eilte sie zurück nach Hyrule um Link beizustehen. Als Oberhaupt der Weisen sah sie es als ihre Bestimmung, Termina’s Schicksal rückgängig zu machen. Und sie wusste, wer dazu in der Lage war, diese Aufgabe zu erfüllen. So hat sie den ahnungslosen Link gebeten, in der Zeit zurückzureisen. Allerdings hat sie ein wenig dazwischengezaubert und so wurde er weiter in die Vergangenheit geschleudert, als er hätte sollen. Sie begegneten sich erneut zum ersten Mal. Doch Zelda, als auch Link, wussten diesmal um die eintretenden Ereignisse Bescheid und sie gab ihm die Okarina sofort. Sie brachte ihm erneut die Hymne der Zeit bei und übergab ihm sein eigentlich erst zukünftiges Pferd Epona, welches momentan noch immer erst ein halbwüchsiges Fohlen ist, denn sie wusste auch, er würde ein Pferd gut gebrauchen können.“

   „Wie überaus voraussehend.“, murmelte Dotour mit eindeutigem Sarkasmus, aber Kafei beachtete ihn nicht.

   „Ohne ihm zu sagen, was er wirklich zu tun hatte, schickte sie ihn in die tiefsten Tiefen der Wälder Hyrules, in der Hoffnung, das Horror Kid würde ihm auflauern und ihn dazu zwingen, ihm über die Alten Wege nach Termina zu folgen. Denn Majora’s Maske kannte ihr Ziel und hat sich des kleinen Diebes bemächtigt. Deshalb sollte niemand diesem unvorsichtigen Bengel die Schuld an unserer Lage geben. Es war diese Maske, erschaffen von jenen von uns, die sich zu weit in die dunkelsten Gefilde der schwarzen Magie gewagt haben.“

 

   Im Augenwinkel bemerkte er, dass sein Vater es nun bevorzugte, anstatt ihn, lieber das von der hohen Decke hängende Moos dabei zu beobachten, wie es leicht schwankte.

 

   „Für uns waren es nur drei Tage. Doch Link war eine kleine Ewigkeit hier. Hier über Termina von den Giganten in Zusammenarbeit mit der Dreieinheit geschaffen, hat die Okarina wesentlich mehr Kraft als in Hyrule selbst. Immer wieder ist Link diese drei Tage zurückgereist und hat von Neuem geholfen. Jedem von uns oft mehrmals, nur um die Giganten rufen zu können und gewappnet zu sein, den dieser Maske innewohnenden Dämon zu vernichten.“

   „Stopp, stopp, stopp.“, fuchtelte einer der Bomber. „Das hat er wirklich alles getan?“

   „Ja. Und wenn er Termina retten kann, wird er Hyrule erneut retten müssen.“

   „Woher weißt du das alles?“, fragte Anju. „Wann hatte er in den – allerletzten – drei Tagen die Zeit, dir das alles zu erzählen?“

   „Hatte er nicht. Es war ihm nicht wichtig. Er weiß nicht, dass ich es weiß.“

   „Woher aber – ?“, begann der Besitzer des Kuriositätenladens.

   „Ich habe es aus seinen Erinnerungen gelesen, während wir zusammen auf Sakon gewartet haben.“, nun wich Anju selbst ein kleines Stück von ihm weg. „Es ging eigentlich ganz schnell. Deshalb wundert es mich nicht, dass auch der Maskenhändler Bescheid weiß. Aber es hat mich momentan doch so verblüfft, dass ich in Sakon’s Versteck unachtsam war und auf diesen blöden Schalter getreten bin. Aber wir haben es dennoch geschafft.“

   „Wie – du hat es aus seinen Erinnerungen – ?“, stutzte Anju.

   „Ich müsste wirklich mehr schlafen.“, seufzte Dotour über das nächste Beben hinweg.

   „Oh ja, das musst du.“, beschwichtigte Kafei. „Wenn das hier vorbei ist, übernehme ich für eine Weile deine Aufgaben, damit du dich ausruhen kannst. Sonst rostest du am Ende nur noch dahin.“

   „Wenn das hier vorbei ist, wirst du meine Aufgaben nicht mehr übernehmen müssen. Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, dass er es schaffen wird. Er mag vielleicht das Zeug dazu haben, aber ich bezweifle, dass er Majora’s Maske gewachsen ist. Auch nicht, obwohl er, wie du sagtest, bereits so viel geschafft hat. Auch ich weiß um die Macht in dieser Maske.“

   „Während er am Mond – oder wo auch immer – gegen den Dämon kämpft, steht die Zeit still! Aber nur was den Fortschritt des Tages betrifft! Bedeutet das denn nichts? Deshalb sitzen wir nun hier. Ja, vielleicht auch weil mein Verstand in den entscheidenden Momenten doch etwas größer war als meine Hoffnung – vielleicht nur deshalb, weil Link selbst ein bisschen an sich gezweifelt hat – aber ich vertraue ihm. Ich vertraue auf die Hoffnung von Prinzessin Zelda. Sie hätte ihn nicht geschickt, wenn sie gewusst hätte, dass es ohnehin vergebens sein würde, denn dann hätte sie ihn eher Hyrule retten lassen. Denn ein Mond stürzt ein Mal. Aber ein Tyrann vernichtet weiter. Auch er vermutet, dass es mit seinem ersten Sieg über Ganondorf noch nicht genug ist.“

   „Trotzdem. Ich glaube nicht, dass er es schafft. Wenn diese ganze Sache vorbei ist, wird Unruhstadt keinen Bürgermeister mehr brauchen, weil es kein Unruhstadt mehr geben wird. Ikana jedoch, braucht einen König.“

   „Was?“, gluckste Kafei, nicht sicher, richtig gehört zu haben. „Selbst wenn man wirklich von mir erwarten könnte, solch eine Bürde auf mich zu nehmen; was ich, vermutlich zu deinem Unwohl, stark anzweifle; hast du es nicht gesehen? Hast du mir nicht zugehört? Es ist niemand mehr hier, außer Sakon, Igor und ein Forscher mit seiner Tochter. Der Rest sind Tote. Ikana ist tot, Vater! Nicht nur Igos und seine Diener. Wir tun gut, uns zu freuen, dass wir davongekommen sind! Mutter – ich meine damit meine leibliche Mutter – “, deutete er vorsichtig in Madame Aroma’s Richtung ab, „War die erste, die von seinem Wahn getroffen wurde.“

   „Erzähl mir nicht, was damals – “

   „Es war gut, dass deine Intuition dich damals von hier weggebracht hat. Auch Igos hat versucht, die Maske zu vernichten. Sie hat schon damals von jemandem Besitz ergriffen. Es war Urol. Der Hund wurde von der Maske ins Schloss getrieben, um Igos ein Angebot zu machen – Unsterblichkeit, weißt du noch? Unsterblichkeit für ihn und sein ganzes Volk. Alles was sie tun mussten war, die Maske zu berühren. Er stahl die Maske aus dem Verbotenen Schrein. Igos wusste nicht einmal um die Existenz des Schreines, da er kein Hohepriester war. Aber Urol hat einen von ihnen gefoltert, um über deren Machenschaften zu erfahren.“

   „Warum wundert mich das nicht,“, hauchte Anju.

   „Er erfuhr, dass nur jene, die nach Anerkennung streben, die Maske problemlos mit bloßen Händen berühren können. Auch erfuhr er, dass alle anderen zuerst unverwundbar wurden, aber nach einer Weile eines grausamen Todes starben. So brachte er diese vermeintliche Quelle der Unsterblichkeit zu Igos, um ihn loszuwerden, da er selbst nach der Anerkennung unseres Volkes strebte, welche er sich im Thron erhoffte. Mutter diente als Versuchperson. Urol nahm den Speer einer anderen Wache und erstach sie. Da ihr nichts passierte, glaubte Igos ihm. Allerdings wollte er die Maske eine Nacht lang verwahren, um sicher zu gehen. In dieser Nacht starb Mutter und wir sind geflohen, als die Maske durch unser Fenster hereingeschwebt kam. Sie hat sich selbstständig gemacht und alle Bewohner getötet. Ja, Vater, auch ich war dabei. Ich habe noch viel mehr gesehen, als du.“

   „Weil du dich immer in Dinge eingemischt hast, für die du zu – “

   „Was aber niemand wusste war, dass der Dämon zuvor gar nicht so böse gewesen war. Erst Urol’s Verbrechen versetzte ihn in Rage. Er ist mit seiner Hülle Amok gelaufen und hat nicht nur alles und jeden getötet, sondern zudem dazu verdammt, bis zu seiner eigenen Vernichtung und dem Morgen danach, als Untote zu wandeln. Die Maske verschwand, bis sie eines Tages vom Maskenhändler gefunden wurde, der glücklicherweise zum Zeitpunkt des Geschehens auf einer noch Jahre dauernden Reise war. Da er wegen seiner Eigenart, jedem die Sätze aus dem Mund zu nehmen, bevor diese überhaupt gesprochen waren, von allen mit Argwohn vertrieben wurde, konnte ihm die Maske nichts tun.“

   „Und da soll einer sagen, Verstoßene sind Chancenlos.“, warf der Kuriositätenhändler ein.

   „Aber anstatt sie in der toten Stadt zu lassen, wollte er sie aus reinem Gewissen nach Hyrule bringen, um sie dort von den Weisen zerstören zu lassen. Und siehe da, das Horror Kid hat sie ihm gestohlen. Vater, Ikana ist tot. Ikana braucht keinen König mehr. Der Maskenhändler, Rim und wir beide sind die letzten hier. Auch sonst gibt es nur noch wenige Shiekah. Unser Volk braucht keinen König mehr, denn unser Volk ist nicht mehr, als eine Hand voll Eremiten und wir.“

 

   Eine verblüffte Stille trat ein, nur übertönt von einem weiteren Beben – und einem leisen Grollen, welches sich als der Magen des Postboten herausstellte.

 

   „Ach herrje.“, sagte dieser nur und griff sich auf den Bauch.

   „Ja. Ich hab auch Hunger.“, seufzte einer der Bomber.

   „Und ich erst recht.“, jammerte ein Wachmann.

   „Auch ich habe in den letzten Tagen kaum gegessen, da ich mich ständig gefragt habe, warum auf einmal ein mit mehr als fünftausend Rubinen überfüllter Konto-Sack auf einen gewissen Link bei mir herumgelegen ist.“, bemerkte der Bankier. „Offenbar ist diese Tinte doch magischer, als ich je angenommen habe. Wenn man sie nur essen könnte. Ich hab noch eine Flasche dabei.“

   „Flasche ist genau das richtige Wort. Denkt ihr, ich hätte nicht vorgesorgt?“, kicherte Kafei.

   „Willst du etwa die Gräber plündern?“, horchte Dotour auf.

   „Nein danke, ich esse keine Knochen.“, sagte der Kuriositätenhändler knapp.

   „Wer spricht denn hier von Knochen? Meine Güte. Geschichte ist nicht gerade deine Stärke, wie?“, lachte Kafei.

   „Es ist ein Jahrtausende alter Glaube der Shiekah, demnach die Früchte des Jenseits ungenießbar sind.“, begann nun Dotour zu erzählen. „Deshalb haben die Hohepriester versucht, einen Zauber zu kreieren, der Nahrung auf ewig konservieren kann und nie ausgehen lässt. Das Hinterland von Ikana ist zwar fruchtbar, aber einst waren wir so viele, dass die Nahrung in trockeneren Sommern oft ausging. Mit dem Erfolg der Hohepriester mussten weder die Shiekah im Reich der Lebenden, noch die im Reich der Toten hungern.“

   „Deshalb wollte ich eine leere Flasche mitnehmen. Die Grabkammern werden von einem seltenen, hellen Irrlicht, einem sogenannten Nachtschwärmer bewacht, der sich in einem dieser sandigen Felder versteckt hält. Wenn ich seine untote Hülle zerstöre, kann ich seine Seele in einer Flasche einfangen und sie anschließend über seinem vormaligen Versteck ausleeren. Sie wird Eins mit dem Sand und dieser wird so leicht, dass das Tor darunter aufklappt. Dann gehe ich runter – bitte die Göttinnen vielmals um Vergebung – und beschaff euch was zu essen. Schaufel, bitte.“

 

   Dotour schüttelte nur den Kopf, als sein Sohn das Gerät dankend an sich nahm, aufgrund des nun etwas heftiger bebenden Untergrundes etwas wankend zu einem der Sandfelder ging und grub. Nur wenige Augenblicke und ein grünlich-gelbes Gespenst mit giftgrünen Augen und einer Laterne in der Hand schwebte daraus empor. Kafei ließ die Schaufel fallen, zog seinen Dolch und ging in Angriffsposition. Der Nachtschwärmer verengte seine Augen und raste auf Kafei zu. Kafei jedoch wich im letzen Augenblick unter Stöhnen der Menge aus, drehte sich um und schleuderte dem Gespenst seinen Dolch in den Rücken. Für einen kurzen Moment erstarrte das Gespenst. Dieser Moment verblüffte alle noch mehr, als Kafei’s Reaktion.

   Er streckte seine Hand aus und der Dolch schnellte einfach zu ihm zurück. Gekonnt fing er ihn auf und ließ das Gespenst von Neuem angreifen. Dieses Szenario wiederholte er unter zunehmender Rage des Nachtschwärmers mehrmals, bis dieser brennend in sich zusammenbrach und seine Seele als kleines, züngelndes Licht, wenige Finger breit über dem Steinboden schweben blieb. Mit sich zufrieden, steckte Kafei den Dolch wieder zurück, bat um die Flasche, fing die kleine Seele darin auf und trug sie zu ihrem langjährigen Versteck. Als das schwere Steintor unter ABriseln des Sandes nach oben aufklappte, bebte es abermals. Doch etwas besorgter hielt Kafei kurz Inne, bevor er zu den Gräbern hinabstieg und wenig später mit einem großen, randvollen Strohkorb wiederkam. Auf ihn hatte er eine große Urne gelegt, in der sich, wie sich kurz darauf herausstellte, kristallklares Wasser befand.

   Während sie allesamt aßen, wurden die Abstände zwischen den einzelnen, heftiger werdenden Beben immer geringer. Niemand sprach ein Wort. Auch Kafei blickte immer öfter zur Decke, aus deren Ritzen es rieselte. Anju fiel es schwer, zu essen, nicht nur weil sie sich so dicht an Kafei gedrängt hatte, dass sie kaum etwas in Händen halten konnte.

 

   „Ich komme mir wie ein Verbrecher vor.“, murmelte Dotour. „Aber was soll’s. Wir werden ohnehin nicht mehr lange leben.“

   „Dotour!“, mahnte seine Frau.

   „Es ist doch wahr! Machen wir uns nichts vor, Esra.“

   „Auch wenn Kafei nicht mein leibliches Kind ist, so ist er dennoch für mich inzwischen ein Sohn. Und wenn er die Hoffnung nicht aufgibt, gebe ich sie auch nicht auf. Eine Rosa glaubt an ihre Familie und an jene, die ihrer Familie geholfen haben.“

   „Esra?“, warf Anju ein, wohl um sich etwas abzulenken. „Esra Rosa?“

   „Ganz genau, Liebes. In voller Blüte ihres Lebens. Und deshalb lass ich mir nicht von dem Mann den ich liebe, einreden, dass wir von einem Mond zermalmt werden.“, das wohl heftigste Beben seit sie die Gruft betreten hatten, hallte donnernd im Gemäuer wider. „Genau! Hörst du? Ich lass mich von dir nicht unterkriegen!“, rief sie zur Decke, dennoch mit Tränen kämpfend.

   „Bist du – bist du verwandt mit den Rosa-Zwillingen? Oder sind der Name und die Haarfarbe nur rein zufäll– “

   „Nein, Kind. Erstens glaube ich nicht an Zufälle und zweitens, hast du sehr wohl Recht. Die Zwillinge sind meine Nichten.“

 

   Plötzlich fielen ganze Steine herunter. Die vorherigen Beben waren immer nur kurz gewesen. Doch dieses hielt eine Weile an. Dann war es wieder still.

 

   „Das war’s.“, jammerte Dotour, in Tränen ausbrechend. „Da habt ihr nun euren Mond. Jetzt können wir ihn anfassen.“

   „Nein.“, hauchte Kafei kopfschüttelnd zur Decke blickend. „Nein. Er ist nicht gefallen.“

   „D-d-d-doch. Hör auf. Er ist – “

   „Nicht gefallen, Vater. Dafür war es nicht heftig genug, glaub mir. Selbst wenn eine Heerschar Dodongos über uns hinweggerannt wäre, hätte es heftiger gebebt. Unruhstadt steht noch.“

 

   Dennoch sprang Kafei auf und rannte die Treppe hoch. Alle hörten, wie er die Tür nach draußen auftrat. Ein mächtiges Wummern drang ebenfalls herein. Es dauerte eine Weile bis Kafei zurückkam, nicht minder in Tränen als die anderen. Doch seine Träne waren von Freude.

 

   „Anju, lass uns heiraten! Er ist weg!“, lachte er zittrig. „Der Mond – ist weg! Schaut selbst!“

 

   Keiner ließ sich das zwei Mal sagen. So gut ihre Beine sie tragen konnten, stolperten alle zu ihm hoch und nach draußen.

 

   „Schnell! Auf die Pferde!“, rief Kafei nervös. „Bevor die Sonne aufgeht! Sonst müssen wir laufen!“

 

   Wenn auch etwas ungeschickt, schafften es alle auf die Rücken der Rösser. Schon galoppierten diese an den verwirrten Knochengängern vorbei, hinunter in die Schlucht und hinaus auf die Ebenen von Termina. In Sichtweite von Unruhstadt hielten sie an. Vor ihnen standen die Zimmerleute, darunter Mutoh, dessen übliches, besserwisserisches Lachen in der dünnen Morgenluft hallte. Was sie von hier aus nicht wirklich sehen konnten, auch aus den anderen Regionen Terminas drängte sich Leben, das seinen Augen nicht traute. Die Stadt stand noch – so, als wäre nichts geschehen. Nur ein regenbogenartiger Schimmer schwebte über den Dächern.

   Südlich der Stadt standen vier gigantische Gestalten, größer als alles andere. Allein die Höhe der Berge konnten sie nicht übertrumpfen. Sie schienen eine Art Versammlung zu halten. Doch Kafei wurde abgelenkt. Um genau zu sein, schaffte er es gerade noch, nicht mit vollster Wucht auf Anju zu fallen. Die ersten Sonnenstrahlen waren zwischen den Felsentürmen hindurchgefallen und hatten genau den Flecken Land berührt, auf dem sie sich befanden. Die Pferde waren zu Staub zerfallen und ihre Reiter sehr unsanft auf dem steinig-sandigen Boden gelandet.

 

   „Wo kommt ihr denn her?“, fragte Kafei die Zimmerer, nachdem er Anju hochgezogen hatte.

   „Diese Feiglinge haben sich in einem Erdloch versteckt!“, lachte Mutoh. „Ich hab doch gesagt, das Ding fällt nicht! Und wenn ich sage, es fällt nicht, dann fällt es nicht, kapiert?“

   „Ich bin ganz deiner Meinung.“, kicherte Kafei, als er die unzähligen Goronen ausmachte, die sich in weiter Ferne am Aufgang zum Bergdorf aneinander zwängten . „Kommt schon! Der Karneval findet statt – wenn auch etwas verspätet. Aber vorher wird geheiratet!“

 

 

 

   Anju und ihre Mutter krachten an der Tür des Gasthofes fast ineinander. Als Cremia gesehen hatte, dass der Mond weg war, hatte sie alle Nicht-Tiere auf der Ranch zusammengetrommelt, auf den Wagen geladen und war mit vollem Galopp zur Stadt gerast. Der Wagen hatte noch nicht angehalten, da war Anju’s Mutter bereits abgesprungen und so schnell wie nur möglich in die Oststadt gerannt, um zu sehen, ob ihre Tochter noch immer auf ihrem Zimmer saß. Damit, sie so vorzufinden, hatte sie nicht gerechnet. Das Allerletzte woran sie jedoch gedacht hatte war, Kafei an ihrer Seite zu sehen.

 

   „Mutter!“, strahlte Anju. „Großmutter!“, Cremia kam außer Atem mit dem Rollstuhl hinter ihr zum Stillstand, Romani hintendrein.

   „Du – !“, keuchte Anju’s Mutter, den Blick auf Kafei gerichtet. „Du – hast – sie – nicht – vergessen? Du – du hast – sie – in Sicherheit – gebracht?“

   „Ja. Das hab ich.“, schmunzelte Kafei.

   „U-u-u-und der Mond? Was – ? Du weißt nicht zufällig, was – ?“

   „Ja, ich weiß auch in etwa, was mit ihm passiert ist.“

   „Dachte ich’s mir doch.“, schnaubte sie, die Hände in die Hüften stemmend. „Wenn es jemand wissen muss, dann der Sohn des Bürgermeisters.“

   „So ist es.“, kichert Kafei, über beide Ohren grinsend. „Und genau den will deine Tochter jetzt heiraten.“

   „Genau. Ja.“, ließ sie die Arme schlaff sinken.

   „Sofort.“, mahnte Anju felsenfest.

   „S-s-sofort!“, fuchtelte ihre Mutter hysterisch.

   „Auf der Stelle.“

   „Auf der Stelle – meine Güte!“

   „Aber bitte vor dem Westtor. Die Stadt ist noch so leer. Ich will ins Grüne.“, bettelte Anju.

   „Na worauf warten wir dann noch? Komm, Kin- nein – Frau! Komm! Zieh’n wir dir dein Kleid an!“, ohne noch weiter herumzureden riss sie die nicht abgesperrte Tür zum Gasthof auf und verschwand mit Anju im Schlepptau.

   „Und was ist mit mir?“, raunte die Großmutter im Rollstuhl. „Ich will auch schön sein!“

   „Bitte sehr.“, keuchte Cremia noch immer ein wenig und schob sie hinterher, ihre kleine, verzückte Schwester schon wieder auf den Fersen. „Suchen wir dir was Schönes zum Anziehen.“

   „Genau.“, kam es ebenfalls keuchend von Esra. „Und du ziehst auch was anderes an, als diesen Fetzen.“

   „Zum letzten Mal, Mutter. Dieser Fetzen ist eine Ikana’sche Alltagstracht.“

   „Und vollkommen verstaubt und eingedreckt! So heiratest du mir sicher nicht. „Ikana hin, Ikana her. Hauptsache Festtagstracht, ja? Deine Hochzeit ist doch kein alltägliches Ereignis!“

 

 

 

   Etwa im selben Moment als Anju, bereits in ihr knallenges Hochzeitskleid gezwängt, die geschickten aber bedachten Finger ihrer Mutter durch die Haare fuhren, um sie zu einer kunstvollen Frisur hochzustecken, kämpften Kafei’s Haare zu seinem Leidwesen gegen den mörderischen Kamm seiner Stiefmutter an, die zu ihrem Leidwesen, den Kampf gegen Kafei’s blaue Mähne verlor. Fast hätte sie den Kamm nach Dotour geworfen, der sich nicht halten konnte und schallend zu lachen begann. Ein mysteriöser, dumpfer Gesang und ein sanftes, gleichmäßiges, langsam abebbendes Beben hielten sie davon ab. Die Giganten waren in ihr Himmelreich zurückgekehrt. Kafei nutzte die darauffolgende Stille, um vor dem Kamm zu flüchten. Leicht niedergeschlagen folgte Esra ihrem Stiefsohn, nicht ohne ihrem Mann einen Klaps auf den Hinterkopf zu verpassen, und warf den Kamm achtlos über die Schulter.

 

 

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